Der Kampf mit dem Dämon
Lebensformen: nichts ist darum psychologisch falscher als die umgängige sentimentale Auffassung der Biographen, Hölderlin sei überall erniedrigt und beleidigt worden. In Wahrheit versuchte man ihn immer und überall zu schonen. Aber seine Haut war zu dünn, seine Empfindsamkeit überreizt: »sein Gemüt wurde zu sehr affiziert«. Was Stendhal einmal von seinem Spiegelbild Henri Brulard sagt: »Ce qui ne fait qu'effleurer les autres me blesse jusqu'au sang«, gilt für ihn und alle Empfindsamen. Wirklichkeit empfand er schon an und für sich als Feindseligkeit, die Welt als Brutalität, Abhängigkeit als Knechtschaft. Nur dichterischer Zustand kann ihn glücklich machen, außerhalb dieser Sphäre vermag Hölderlins Atem nicht ruhig zu gehen, er schlägt um sich und würgt an der irdischen Luft wie ein Erstickender. »Warum bin ich denn friedlich und gut wie ein Kind, wenn ich ungestört mit süßer Muße das unschuldigste aller Geschäfte treibe?« staunt er selbst, von dem ewigen Konflikt erschreckt, mit dem ihn jede Begegnung befällt. Noch weiß er es nicht, daß seine Lebensuntüchtigkeit eine unheilbare ist, noch glaubt er, daß »Freiheit«, daß »Dichtung« ihn der Welt verbinden könne. So wagt er sich in eine ungebundene Existenz: hoffnungsvoll durch begonnenesWerk versucht es Hölderlin mit der Freiheit. Freudig bezahlt er mit bitterer Entbehrung das Leben im Geiste. Im Winter verbringt er ganze Tage im Bett, um Holz zu sparen, nie gönnt er sich mehr als eine Mahlzeit des Tags, verzichtet auf Wein und Bier, auf die bescheidenste Vergnügung. Von Jena sieht er kaum mehr als Fichtes Kolleg, manchmal gönnt ihm Schiller eine Stunde bei sich, sonst wohnt er einsam in ärmlicher Bettstelle (kaum eine Kammer zu nennen). Seine Seele aber wandert mit Hyperion nach Griechenland, und er könnte sich selig nennen, wäre nicht von innen her ihm immer wieder Unrast und ewiger Aufbruch bestimmt.
Gefährliche Begegnung
Ach, wär ich nie in eure Schulen gegangen.
Hyperion
Das erste in Hölderlins Entschluß zur Freiheit ist der Gedanke an das Heroische des Lebens, der Wille, das »Große« zu suchen
. Doch ehe er sich vermißt, es in der eigenen Brust zu entdecken, will er »die Großen« sehen, die Dichter, die heilige Sphäre. Nicht Zufall treibt ihn gerade nach Weimar: dort sind Goethe und Schiller und Fichte und ihnen zur Seite wie die leuchtenden Trabanten um die Sonne Wieland, Herder, Jean Paul, die Schlegels, Deutschlands ganzer geistiger Sternenhimmel. Solche gesteigerte Atmosphäre zu atmen, sehnt sich sein allem Unpoetischen geradezu gehässiger Sinn: hier hofft er antikische Luft nektarisch einzusaugen und in dieser Agora des Geistes, in diesem Kolosseum dichterischen Ringens die eigene Kraft zu erproben.
Solchem Ringen aber will er sich erst bereiten, denn der junge Hölderlin fühlt sich geistig, fühlt sich gedanklich und im Sinne der Bildung nicht vollwertig neben Goethes umspannendem Weltblick, neben Schillers »kolossalischem«, in gewaltigen Abstraktionen wirkendem Geiste. So meint er – der ewig waltende deutsche Irrtum! – sich systematisch »bilden«, Philosophie in Kollegien »belegen« zu müssen. Genau wie Kleist vergewaltigt auch er seine durchaus spontane, exaltive Natur durch den zwanghaften Versuch, seine Himmel sich metaphysischzu erläutern, seine dichterischen Pläne mit Doktrinen zu unterlegen. Ich fürchte, es ist noch niemals mit dem notwendigen Freimut ausgesprochen worden, wie verhängnisvoll damals nicht nur für Hölderlin, sondern für die ganze deutsche dichterische Produktivität die Begegnung mit Kant, die Beschäftigung mit der Metaphysik geworden ist.
Und mag auch die traditionelle Literaturlehre es auch ferner noch als herrlichen Höhepunkt feiern, daß die deutschen Dichter damals Kants Ideen eilig in ihre dichterischen Bezirke aufnahmen – ein freier Blick muß endlich wagen, die verhängnisvollen Schäden dieser dogmatisch-grüblerischen Invasion festzustellen. Kant hat – ich spreche hier eine streng persönliche Überzeugung aus – die reine Produktivität der klassischen Epoche, die er mit der konstruktiven Meisterschaft seiner Gedanken überwältigte, unendlich gehemmt, der Sinnlichkeit, der Weltfreudigkeit, dem Freilauf der Phantasie bei allen Künstlern durch die Ablenkung auf einen ästhetischen Kritizismus unendlichen Abbruch getan. Er hat jeden Dichter, der sich ihm hingab, im rein Dichterischen dauerhaft gehemmt und wie könnte auch ein Nur-Gehirn,
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