Der Kampf mit dem Dämon
Grillparzer, gekühlter im Empfinden und gewohnter, sich zu verbergen, endlich klar formulierte: »Goethe hat sich der Wissenschaft zugewandt und forderte in einem großartigen Quietismus nur das Gemäßigte und Wirkungslose, indes in mir alle Brandfackeln der Phantasie sprühten.« Selbst der Weiseste war nicht so weise, um alternd zu verstehen, daß Jugend nur ein anderes Wort ist für Überschwang.
Hölderlins Verhältnis zu Goethe ist also ein durchaus organisch unverbundenes: es hätte nur gefährlich werden können, wenn Hölderlin Goethes Ratschläge befolgt und sich zum Idyllischen, zum Bukolischen folgsam temperiert hätte: sein Widerstand gegen Goethe ist darum Selbstrettung im höchsten Sinn. Tragisch dagegen und Sturm bis hinab in die Wurzeln seines Wesens wird die Beziehung zu Schiller, denn hier muß sich der Liebende gegen den geliebtesten Menschen, das Gebilde gegen seinen Bildner, der Schüler wider den Lehrer behaupten. Die Verehrung für Schiller ist das Fundament seiner Weltbeziehung, darum droht auch seine ganze Welt mit der tiefen Erschütterung zu stürzen, die Schillers zweifelnde, laue und ängstliche Haltung in seiner empfindlichen Psyche hervorruft; aber dieses Mißverstehen Schillers und Hölderlins ist eines höchster ethischer Ordnung, an liebender Abwehr, an schmerzlichem Losreißen einzig jenem Nietzsches von Wagner gleich. Auch hier überwindet der Schüler den Meister zugunsten der Idee und wahrt lieber die höchste Treue, die zum Ideal, als jene der bloßen Gefolgschaft. In Wahrheit bleibt Hölderlin Schiller treuer als Schiller sich selbst.
Denn wohl ist Schiller in jenen Jahren noch Herr seines bildenden Sinns, noch geht rauschend jenes unvergleichliche Pathos der Rede bis in das Herz der deutschen Nation: aber dennoch hat sich die sinnliche Abkältung ins Geistige, das Entjugendlichen bei dem bresthaften, an Krankenstuhl und Stube gebundenen Dichter früher vollzogen als bei dem älterenGoethe. Nicht daß sich Schillers Enthusiasmus verflüchtigt hätte oder verkleinert – er hat sich nur theoretisiert, die aufschäumende rebellische Träumerkraft des In-Tyrannos-Schillers sich gestaltend kristallisiert in eine »Methodik des Idealismus«; aus einer Feuerseele ward eine Feuersprache, aus Gläubigkeit ein bewußter Optimismus, der dann nur einen Handgriff braucht, um als der deutsche Liberalismus bürgerlich handlich zu sein. Schiller erlebt nur noch mit dem Geiste, nicht mehr mit der »Unteilbarkeit« (die Hölderlin fordert) des ganzen Seins, der aufgebotenen Existenz. Und es muß eine seltsame Stunde für den ehrlichen klaren Mann gewesen sein, als Hölderlin zum erstenmal vor ihn tritt. Denn dieser Hölderlin ist ja sein ureigenstes Geschöpf: nicht daß er ihm bloß die Form des Verses und die geistige Orientierung dankt, sondern sein ganzes Denken ist seit Jahren ausschließlich nur von den Ideen Schillers, von seinem Glauben an die Erhöhung der Menschheit genährt. Er ist vollkommen von ihm dichterisch gezeugt und gestaltet, so sehr sein ideelles Produkt wie die andern Schwärmerjünglinge, wie der Marquis Posa und Max Piccolomini: so erkennt er in Hölderlin seine eigene Übersteigerung, sein menschgewordenes Wort. Alles, was Schiller von dem Jüngling gefordert, Begeisterung, Reinheit, Überschwang, das ist bei Hölderlin Leben geworden, dieser junge Schwärmer lebt das Schillersche Postulat der idealischen Forderung als Existenz . Hölderlin lebt den Idealismus, den Schiller nur noch rhetorisch-dogmatisch fordert, er glaubt an die Götter und das Griechenland, die für Schiller längst bloß großartige dekorative Allegorien wurden, er erfüllt die Mission des Dichters, die jener nur schwärmend postuliert. In Hölderlin werden seine eigenen Theorien, seine Ahnungen plötzlich leibhaft sichtbar: darum dies geheime Erschrecken Schillers, als er den Jüngling, seinen Dichterjüngling, zum erstenmal leibhaft sieht, sein postuliertes Ideal als lebendigen Menschen . Er erkennt ihn sofort: »Ich fand in diesen Gedichten viel von meiner eigenen Gestalt, und es ist nicht das erste Mal, daß mich der Verfasser an mich mahnte«, schreibt er an Goethe, und mit einer gewissen Rührung beugt er sich zu dem äußerlich so demütigen, innerlich aber lodernden Menschen wie in den Rückschein eigenen erloschenen Jugendfeuers. Aber gerade diese vulkanische Feurigkeit, dieser Enthusiasmus (den er dichterisch unablässig propagiert) erscheintdem gereiften Manne als gefährlich für den
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