Der Kampf mit dem Dämon
nach Unsterblichkeit gleich mit dem ersten Ausbruch seiner Kraft. Jetzt erst sieht man,wieviel Hochmut in dem überheizten Kessel seiner Brust heimlich verschlossen war: in dampfenden Worten zuckt und zischt er heraus. Wenn ein Platen von Odysseen und Iliaden faselt, die er schaffen will, so ist das ungläubige Selbstbeschwätzung einer schwachen Natur. Aber Kleisten ist es ehern ernst mit seinem Wettstreit wider die Götter des Geistes; wenn ihn eine Leidenschaft packt, so treibt er sie (und sie wiederum ihn) ins Maßlose, und von dieser Stunde der Klarheit über seine Mission wird der Ehrgeiz zur fast tödlichen Aufbietung seines ganzen Seins. Seine Hybris ist lebenswahr, todeswahr, als er sich nun, ein Desperado des Lebens, in trotziger Herausforderung der Götter an ein Werk wirft, das (wie er Wieland suggeriert) »die Geister des Äschylos, Sophokles und Shakespeare« in sich vereinigen soll. Immer setzt Kleist sein Ganzes auf eine Karte. Und von nun ab heißt sein Lebensplan nicht mehr leben und richtig leben, sondern Unsterblichkeit.
Kleist beginnt sein Werk im Spasma, in der letzten Entzückung und Trunkenheit. Alles, auch das Schaffen, verwandelt sich ihm zur Orgie; Lust- und Qualschreie brechen aus seinen Briefen stöhnend oder schwelgend hervor. Was andere Dichter ermutigt und bekräftigt, die Ermunterung durch Freundeswort, läßt ihn taumeln in Angst und Lust, so furchtbar ist sein ganzes Sein erregt von der Alternative des Gelingens oder Versagens. Was andern Glück ist, wird ihm ( hier
wie immer) Gefahr, denn bis an den letzten Lebensnerv drängt er die große Entscheidung. »Der Anfang meines Gedichtes, das der Welt Deine Liebe zu mir erklären soll«, schreibt er seiner Schwester, »erregt die Bewunderung aller Menschen, denen ich es mitteile. O Jesus! Wenn ich es doch vollenden könnte! Diesen einzigen Wunsch soll mir der Himmel erfüllen, und dann, mag er tun, was er will.« Auf diese einzige Karte Guiskard setzt er sein ganzes Leben. Eingegraben auf seiner Insel im Thuner See in die Arbeit, ganz hinabgetaucht in den eigenen Abgrund, kämpft er den Jakobskampf mit dem Engel, mit dem Dämon, daß er ihn freilasse. Manchmal jauchzt er auf in frenetischer Verzückung. »In kurzem werde ich Dir viel Frohes zu schreiben haben; denn ich nähere mich allem Erdenglück«; dann wieder erkennt er, was für finstere Mächte er aus sich beschworen hat: »Ach, der unselige Ehrgeiz, er ist ein Gift für alle Freuden.« In Sekunden der Zernichtung möchte er sterben – »Ich bitte Gott um den Tod«, dann wieder überfällt ihn dieAngst, er »möchte sterben, ehe ich meine Arbeit vollendet habe«. Nie hat vielleicht ein Dichter erbitterter, mit einem rasenderen Einsatz seiner ganzen Existenz um sein Werk gerungen als Kleist in jenen Wochen der Ureinsamkeit auf der kleinen Insel im Thuner See. Denn dieser Guiskard ist mehr als bloß literarischer Spiegelschein inneren Wesens: hier in dieser titanischen Gestalt will er die ganze Tragödie seiner Existenz darstellen, das ungeheure Wollen des männlichen Geistes, indes der Körper geheim unterwühlt ist von Schwächen und Schwären. Vollenden bedeutet hier: genesen, Sieg eine Erlösung, der Ehrgeiz die Selbsterhaltung: darum dieser ungeheure Krampf, diese gleichsam zu Muskeln straff gespannten Nerven. Es ist Ringen um eine Lebensentscheidung, das spürt er und die Freunde mit ihm, die ihm raten: »Sie müssen den Guiskard vollenden und wenn der ganze Kaukasus und Atlas auf Sie drückte.« Nie wieder hat sich Kleist so tief in ein Werk hineingeworfen, einmal, zweimal, dreimal schreibt er die Tragödie hintereinander, um sie wieder zu zerstören, er weiß jedes Wort darin so auswendig, daß er bei Wieland sie frei aus dem Gedächtnis rezitieren kann. Monatelang wälzt er den überwuchtigen Stein zur Höhe, immer rollt er wieder die Tiefe hinab: ihm ist es nicht gegeben wie Goethe im Werther, im Clavigo, mit einem Ruck sich von seinem Seelengespenst zu entlasten, zu fest ist der Dämon in seine Seele verklammt. Endlich sinkt ihm zerbrochen die Hand: »Der Himmel weiß, meine teuerste Ulrike (und ich will umkommen, wenn es nicht wörtlich wahr ist)«, stöhnt der Ermattete auf, »wie gern ich einen Blutstropfen aus meinem Herzen für jeden Buchstaben eines Briefes gäbe, der so anfangen könnte: mein Gedicht ist fertig. Aber, Du weißt, wer, nach dem Sprüchwort, mehr tut, als er kann. Ich habe nun ein Halbtausend hintereinander folgender Tage, die Nächte der meisten
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