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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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von dem andern zuwenig hatte, sondern er hatte von beidem zuviel; zuviel Geist bei zuviel Blut, zuviel Sittlichkeit bei zuviel Leidenschaft, zuviel Zucht bei zuviel Zügellosigkeit. Er war einer der überfülltesten Menschen, und die »unheilbare Krankheit«, von der dieser »schön intentionierte Körper« ergriffen war (wie Goethe sagt), eigentlich Überkraft. Darum mußte er sich selbst zersprengen wie ein überhitzter Kessel: sein Dämon war nicht das Urmaß, sondern sein Übermaß.
    Lebensplan
    Alles liegt in mir verworren wie die
Wergfasern im Spinnrocken.
    Aus einem Jugendbrief
    Kleist hat dieses Chaos seines Gefühls früh in sich gefühlt. Der Knabe schon und viel stärker dann der zwanzigjährige Gardeoffizier spürt schon halb unbewußt den innern übermächtigen Schwall des Gefühls gegen die enge Welt. Aber er meint, diese Verwirrung und Befremdung sei nur Gärung der Jugend, unglückliche Einstellung ins Leben und vor allem Mangel an Vorbereitung, an System, an Erziehung. Und wahrhaft fürs Leben erzogen war Kleist ja niemals worden: aus dem verwaisten Elternhaus kommt er in eines emigrierten Predigers Zucht, dann in die Kadettenschule, wo er Kriegskunst lernen soll, indes seine heimlichste Neigung Musik ist, dieser erste Ausbruch seines Gefühls ins Unendliche. Aber nur heimlich ist es ihm gestattet, die Flöte zu spielen
    (meisterlich soll er sie gehandhabt haben), tagsüber hat er Kommißdienst in dem harten preußischen Heere, Exerzierfron auf den öden Sandkarrees seiner Heimat. Und der Feldzug von 1793, der ihn schließlich in einen wirklichen Krieg wirft, ist der jämmerlichste,kläglichste, langweiligste, unheroischeste der deutschen Geschichte. Nie hat er seiner wie einer Kriegstat Erwähnung getan: einzig in einem Gedicht an den Frieden atmet er seine Sehnsucht aus, dieser Sinnlosigkeit zu entrinnen.
    Der Waffenrock drückt ihm zu eng die aufgeweitete Brust. Er fühlt in sich Kräfte gären und fühlt auch, daß sie aus ihm nicht wirksam in die Welt treten könnten, solange er sie nicht zu disziplinieren weiß. Niemand hat ihn erzogen, niemand ihn belehrt: so will er sein eigener Pädagog sein, sich »einen Lebensplan zimmern« oder, wie er sagt, »richtig leben«; und da er ein Preuße ist, so muß sein erster Gedanke der einer Ordnung sein. Er will Ordnung in sich schaffen, »richtig leben«, nach Prinzipien, nach Ideen, nach Maximen, und er glaubt, er könne dies Chaos in sich durch eine geregelte, eine schematische, eine gemäße Existenz zähmen, um »in ein konventionelles Verhältnis zur Welt zu kommen«. Sein Grundgedanke ist: jeder Mensch müsse einen Lebensplan haben, und dieser Wahn läßt ihn fast bis an sein Lebensende nicht mehr los. »Ein freier denkender Mensch bleibt da nicht stehen, wo der Zufall ihn hinstößt ... er fühlt, daß man sich über sein Schicksal erheben könne, ja, daß es im richtigen Sinn selbst möglich sei, das Schicksal zu leiten. Er bestimmt nach seiner Vernunft, welches Glück für ihn das höchste sei, er entwirft sich seinen Lebensplan ... Solange ein Mensch noch nicht imstande ist, sich selbst einen Lebensplan zu bilden, solange ist und bleibt er unmündig, er stehe nun als Kind unter der Vormundschaft seiner Eltern oder als Mann unter Vormundschaft des Schicksals« – so philosophiert der Einundzwanzigjährige und meint des Fatums zu spotten. Noch weiß er nicht, daß sein Schicksal innen ist und zugleich jenseits seiner Macht.
    Aber gewaltsam stößt er sich in das Leben ab. Er zieht den Soldatenrock aus – »Der Soldatenstand«, schreibt er, »wurde mir so verhaßt, daß es mir nach und nach lästig wurde, zu seinem Zwecke mitwirken zu müssen.« Aber wie nun, einer Zucht entronnen, sich selbst eine andere finden
    ? Ich sagte schon, Kleist müßte kein Preuße sein, wenn sein erster Gedanke nicht Ordnung gewesen wäre. Nun: und er müßte kein Deutscher sein, wenn er für diese innere Ordnung nicht alles von der Bildung erhoffte. Bildung, das ist das Arkanum des Lebens für ihn wie für jeden Deutschen; lernen, viel ausBüchern lernen, in Vorlesungen sitzen, Kollegbücher schreiben, den Professoren lauschen – so malt sich dem Jugendlichen der Weg in die Welt. Mit Maximen und Theorien, mit Philosophie und Naturkunde und Mathematik und Literaturgeschichte hofft Kleist den Weltgeist zu fassen, den Dämon in sich zu bannen. Und so wirft sich der ewige Übertreiber wie ein Rasender in das Studium hinein. Alles, was er tut, was er anfaßt,

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