Der Kampf mit dem Dämon
durchglüht er mit seinem dämonischen Willen: er berauscht sich geradezu an der Nüchternheit und macht aus dem Pedantismus eine Orgie. Wie seinem deutschen geistigen Ahn, wie dem Doktor Faust, ist ihm die weitausholende, schritthafte Linie zu den Wissenschaften zu langsam: mit einem Sprung will er alles erraffen und aus dem Wissen endlich das Leben selbst, die »wahre« Form des Lebens erkennen. Denn er glaubt ja, verführt von den Schriften der Aufklärungszeit, mit der ganzen Fanatik seines Triebwillens an die Erlernbarkeit der »Tugend« im Sinne der Griechen, an eine Lebensformel, durch die man sich Wissen und Bildung errechnen könne, um sie dann wie ein Schema, wie eine Logarithmentafel von Fall zu Fall zu exemplifizieren. Darum lernt er wie ein Verzweifelter, bald Logik, bald reine Mathematik, bald Experimentalphysik, dann wieder Lateinisch und Griechisch, und all das »mit einem mühsamsten Fleiße«. Man spürt deutlich, daß er die Zähne zusammenpressen muß, um durchzuhalten: »Ich habe mir ein Ziel gesetzt, das die ununterbrochene Anstrengung aller meiner Kräfte und die Anwendung jeder Minute Zeit erfordert, wenn es erreicht werden soll«, aber dies »Ziel« will sich immer und immer noch nicht zeigen. Er lernt ins Leere, und je mehr er an einzelnen Kenntnissen hastig zusammenballt, um so weniger erkennt er das innere Ziel. – »Mir ist keine Wissenschaft lieber als die andere – soll ich immer von einer Wissenschaft zur anderen gehen, und immer nur auf ihrer Oberfläche schwimmen und bei keiner in die Tiefe gehen?« Vergebens predigt er, nur um sich selber von der Nützlichkeit seines Tuns zu überzeugen, seiner Braut in pedantischer Weise eine pedantische Mechanik des sittlichen Verhaltens, monatelang quält er das arme Mädchen wie der versessenste Schulmeister mit läppischen vernünftlerischen Fragen und Antworten, die er ihr säuberlich, um sie »auszubilden«, aufschreibt: nie war Kleist antipathischer, unmenschlicher, schulfuchshafter, verpreußter als in jener unglückseligen Epoche, wo er den Menschen in sichmit Büchern und Kollegien und Präzepten sucht
, nie sich selber, seinem glühenden Wesenskern fremder, als da er sich zum Bürger, zum nützlichen Menschen zu ertüchtigen strebt.
Aber er soll dem Dämon nicht entrinnen, indem er Bücher und Pandekten über ihn stülpt: aus den Büchern schlägt die furchtbare Flamme ihm eines Tages schreckhaft entgegen. Plötzlich, in einer Stunde, in einer Nacht ist Kleistens erster Lebensplan vernichtet. Er hat Kant gelesen, den Urfeind aller deutschen Dichter, ihren Verführer und Zerstörer, und dies kalte überklare Licht blendet ihm den Blick. Entsetzt muß er seine höchste Überzeugung, den Glauben an die Heilkraft der Bildung, an die Erkennbarkeit der Wahrheit bankerott erklären: »Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint.« Die »Spitze dieses Gedankens« durchbohrt ihn »im heiligsten Innern« seines Herzens, und erschüttert ruft er in einem Briefe aus: »Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr.« Der Lebensplan ist vernichtet, Kleist wieder allein mit sich selbst, mit diesem furchtbaren lastenden geheimnisvollen Ich, das er nicht zu bändigen weiß. Gerade, daß er – wie immer – als der maßlos Leidenschaftliche sein ganzes Sein, seine unumschränkte geistige Existenz auf eine Karte setzt, macht diese seine seelischen Niederbrüche so furchtbar und gefährlich. Wenn Kleist seinen Glauben verliert oder seine Leidenschaft, verliert er immer alles: denn dies ist seine Tragik und seine Größe, sich immer ganz und restlos in ein Gefühl hineinzutreiben und niemals den Weg zurückzufinden, sich nie anders also befreien zu können als durch Explosion und Zerstörung.
So wird er auch diesmal durch Zernichtung frei. Er zerschellt den Becher, aus dem er sich durch Jahre selig berauscht, klirrend und mit einem Fluch an der Wand des Schicksals. Die »traurige« Vernunft, so nennt er die fortab, die bisher sein Idol gewesen, er flieht die Bücher, die Philosophie, die Theoreme – und flieht, als der ewige Übertreiber, wieder zu weit hinüber bis an das andere Ende. »Mir ekelt vor allem, was Wissen heißt«: mit einem Ruck wirft er sich herum in das Gegenteil, reißt seinen Glauben aus sich wie einen weggelebten Tag aus dem Kalender, und der gestern noch in Bildung die Rettung, im Wissen die Magie, in der Kultur das Heil, im
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