Der Kampf mit dem Dämon
mit rasenden Kopfschmerzen und einem nervösen Überlauf, denn es läßt sich, wenn abends der Leib längst müde geworden ist, nicht plötzlich abkurbeln, sondern wühlt weiter
in Visionen und Gedanken, bis es mit Schlafmitteln gewaltsam betäubt wird. Aber immer größere Mengen sind notwendig (in zwei Monaten verbraucht Nietzsche fünfzig Gramm Chloral-Hydrat, um diese Handvoll Schlummer zu erkaufen) – dann weigert sich der Magen, seinerseits so hohen Preis zu zahlen, und revoltiert. Und nun – Circulus vitiosus – spasmisches Erbrechen, neue Kopfschmerzen, die neue Mittel erfordern, ein unerbittliches unersättliches leidenschaftliches Gegeneinander der aufgereizten Organe, die sich wechselseitig im tollen Spiel den Stachelball des Leidens zuschleudern. Nie ein Ruhepunkt in diesem Auf und Ab, nie eine flache Spanne Zufriedenheit, ein knapper Monat voll Behagen und Selbstvergessen; in zwanzig Jahren kann man sich kein Dutzend Briefe herauszählen, wo nicht aus irgendeiner Zeile ein Stöhnen bricht. Und immer rasender, immer wütiger werden die Schreie des von seinen überwachen, überzarten und schon entzündeten Nerven Gestachelten. »Mach es dir doch leichter; stirb!« ruft er sich zu, oder er schreibt: »Eine Pistole ist mir jetzt eine Quelle relativ angenehmer Gedanken« oder »die furchtbare und fast unablässige Marter läßt mich nach dem Ende dürsten, und nach einigen Anzeichen ist der erlösende Hirnschlag nahe«. Längst findet er für seine Leiden keine Superlative des Ausdrucks mehr, fast wirken sie schon monoton in ihrer Schrille und raschen Wiederholtheit, diese gräßlichen Schreie, die fast nichts Menschliches mehr haben und wirklich aus der »Hundestallexistenz« seines Lebens hin zu denMenschen gellen. Da plötzlich flammt – und man schrickt auf vor so ungeheurem Widerspruch – in Ecce homo das starke, stolze, steinerne Bekenntnis auf, das scheinbar alle diese Schreie Lügen straft: »Als summa summarum war ich (in den letzten fünfzehn Jahren) gesund.«
Was soll nun gelten? Die tausend Schreie oder das monumentale Wort? Beides! Nietzsches Körper war organisch stark und widerstandsfähig, der innere Stamm breit gewölbt und fähig, auch getürmteste Last zu tragen; seine Wurzeln greifen tief hinab in das Erdreich deutscher, gesunder Pastorengeschlechter. Im Ganzen »summa summarum«, als Anlage, als Organismus, im fleischgeistigen Fundament war Nietzsche wirklich gesund. Nur die Nerven sind zu zart für das Ungestüm seiner Empfindung und darum in ständiger unruhiger Revolte (einer Revolte, die aber niemals die eherne Herrschkraft seines Geistes zu erschüttern vermag): Nietzsche selbst hat einmal sinnlich glücklichsten Ausdruck für diesen halb gefährlichen, halb gesicherten Zustand gefunden, wenn er von einem »Kleingewehrfeuer« seiner Leiden spricht. Denn niemals kommt es bei diesem Krieg zu einem wirklichen Einbruch in den innern Wall seiner Kraft: er lebt wie Gulliver in Brobdignac, nur ständig umlagert von einem kribbelnden Pygmäengezücht von Schmerzen. Ewiger Alarm der Nerven ist um ihn, der unablässig auf Ausguck und Wachtturm steht, ständig in einer aufreibenden, quälenden Selbstverteidigung der Aufmerksamkeit. Nirgends aber gelingt einer wirklichen Krankheit (außer vielleicht jener einzigen, die einen Minengang zwanzig Jahre lang bis unter die Zitadelle seines Geistes vorgräbt und sie dann plötzlich in die Luft sprengt) ein Einbruch, eine Eroberung: ein monumentaler Geist wie Nietzsche erliegt keinem Kleingewehrfeuer, nur eine Explosion kann den Granit solchen Gehirns zerschmettern. So steht einer ungeheuren Leidensfähigkeit eine ungeheure Leidenskraft entgegen, eine zu starke Vehemenz des Gefühls einer zu feinen Durchnervtheit des motorischen Systems. Denn jeder Nerv des Magens wie des Herzens und der Sinne stellt bei Nietzsche ein überexaktes, filigranzartes Manometer dar, das die kleinsten Veränderungen und Spannungen mit ungeheurem Ausschlag an schmerzhafter Erregung erwidert. Nichts bleibt dem Körper (wie dem Geiste) unbewußt. Die kleinste Fiber, die bei andern stumme, signalisiert ihm sofort mit zuckendem Riß ihreBotschaft, und diese »rasende Reizbarkeit« zersplittert seine naturhafte, starke Vitalität in tausend stechende, schneidende, gefährliche Splitter. Darum dann jene entsetzlichen Schreie, wenn er bei der geringsten Bewegung, bei jedem plötzlichen Schritt seines Lebens an einen dieser offenen zuckenden Nerven rührt.
Diese unheimliche,
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