Kuckucksmädchen
1
»In der Liebe gibt es immer einen Anfang
und ein Ende. So ist das eben.«
»Aber was ist mit der Zeit dazwischen?«
»In der Zeit dazwischen trauert man
dem Anfang nach und wartet auf das Ende.«
Catherine Deneuve in Die Männer, die ich liebte
Es ist sieben Uhr achtunddreiÃig, ich liege im Bett und bin noch nicht mal richtig wach, als mein Herz plötzlich und unvorhergesehen den ersten Satz seines Lebens sagt.
Das Bett setzt sich zusammen aus einem hochglanzweià lackierten verschnörkelten Metallgestell, einer wollweiÃen Matratze, schneeweiÃer Bettwäsche und riesigen weiÃen Federkissen. Es steht vor einer kalkweiÃen Wand, und unter dem Bett, auf dem Parkett, liegt ein weicher, elfenbeinweiÃer Teppich, der jeden Morgen zuverlässig meine ersten drei Schritte nach dem Aufstehen dämpft. Der Rest des Schlafzimmers ist ebenfalls weiÃ. WollweiÃ, kalkweiÃ, birkenweiàâ der Raum sieht aus wie ein unbeschriebenes Blatt.
Ich mag das Gefühl, morgens in einem Berg aus frisch geschlagener Sahne aufzuwachen. Nur hin und wieder stelle ich eine Vase mit einer einzelnen gelben oder pinken Tulpe auf die marmorweiÃe Platte meines Nachttischchens, komme mir dabei wahnsinnig mutig vor und bin froh, wenn sie nach vier Tagen langsam den Kopf hängen lässt und ich sie endlich wegschmeiÃen darf.
Mein Schlafzimmer ist im Gegensatz zur restlichen Wohnung weià und weich und sehr ordentlich. Es gibt nur einen einzigen Tag in der Woche, an dem ich für ein paar Stunden das Chaos einziehen lasse. Am Sonntagmorgen stehe ich kurz auf, kaufe mir am Bahnhof die Zeit und lege mich damit wieder ins Bett. Dann lese ich mich kreuz und quer durch die Seiten, wobei ich die einzelnen Blätter auseinanderrupfe und gedankenverloren links, rechts, vor und hinter mir verteile, bis ich irgendwann in einem Berg von Zeitungsseiten sitze. Wenn alles so ist, wie es sein soll, kommt in diesem Moment Jonathan mit einem Frühstückstablett aus der Küche und spricht die zwei immer gleichen Sätze, die er unbeirrt seit sechsunddreiÃig Monaten bei diesem Anblick sagt: »O wie schön. Ein ganzes Bett voller Zeit.«
Ich liebe mein Bett. Es ist der wichtigste Gegenstand in meinem Leben. Ich brauche es zum Schlafen und Wachsein, Lesen und Nachdenken, zum Essen, Vögeln und Weinen, zum Telefonieren, zum Kranksein und Abschotten, zum Glücklich- und Unglücklichsein. Nur vor einem kann mich auch mein Bett nicht retten: diesem Montagmorgen.
Ich bin liegen geblieben, als um sieben Uhr dreiÃig der Wecker geklingelt hat. Aus Angst vor dem, was heute kommen würde, habe ich die Augen geschlossen gehalten und versucht, mir vorzustellen, der Tag hätte noch nicht begonnen. Dann kam um sieben Uhr achtunddreiÃig die Sache mit dem Herzen dazwischen.
Der erste Satz, den mein Herz zu mir sagt, lautet:
âSchade, das mit den Brüsten.
Seltsamerweise bin ich weder erschrocken noch empört. Ich mag diese Stimme, ich erkenne den Beat, und ich antworte im Stillen und ohne nachzudenken:
âIst mir auch schon aufgefallen. Früher sahen sie irgendwie besser aus.
Ich schlage die Bettdecke zurück, bin plötzlich gar nicht mehr müde, stehe auf und laufe auf nackten FüÃen zum Schlafzimmerspiegel. Dort hebe ich mein durchgescheuertes I-love-Brooklyn-T-Shirt hoch und starre die Brüste an. Es ist wie mit alten Bekannten, die man lange nicht gesehen hat und bei denen man sich nicht ganz sicher ist, ob sie es wirklich sind. Meine Brüste starren zurück. Wenigstens schauen sie nicht zu Boden.
Ich nehme sie in beide Hände und presse sie nach oben. Meine Silhouette verbessert sich schlagartig. Sie haben weniger ihre Form verändert, sondern sind eher im Ganzen zwei Zentimeter nach unten gewandert. Vorsichtig nehme ich die Hände wieder weg.
âEs geht schon , antwortet das Herz. Ein paar Jahre halten sie bestimmt noch durch. Und irgendwann sind sie ja auch nicht mehr nur dazu da, anderen zu gefallen.
O rücksichtsloses kleines Herz! Nach all den Jahren der Selbstgespräche ist es zwar schön, dass endlich jemand antwortet, aber leider scheint es dabei wenig einfühlsam vorzugehen. Ich lasse das T-Shirt wieder sinken und merke, wie ich anfange zu zittern.
Sieben Uhr fünfundvierzig. An einem normalen Arbeitstag müsste ich in einer halben Stunde das Haus verlassen und jetzt schnell ins Bad. Aber das hier ist kein
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