Der Kampf mit dem Dämon
Haushälterisches in ihrer Beziehung zur Wahrheit, und tatsächlich hat jeder von ihnen über Braut und Bett sich ein eigenes Haus erbaut: sein gesichertes System. Und diesen ihren eigenen Bezirk, ihren eroberten Acker des Geistes, den sie aus dem urweltlichen Dickicht des Chaos für die Menschheit ausgerodet haben, bestellen sie meisterlich mit Egge und Pflug. Vorsichtig schieben sie die Gemarken ihrer Erkenntnis weiter
hinaus in die Kultur der Zeit und mehren mit Fleiß und Schweiß die geistige Frucht.
Nietzsches Leidenschaft zur Erkenntnis dagegen kommt aus ganz anderem Temperament, aus einer geradezu antipodischen Welt des Gefühls. Seine Einstellung zur Wahrheit ist eine durchaus dämonische, eine zitternde atemheiße, nervengejagte, neugierige Lust, die sich nie befriedigt und nie erschöpft, die nirgends stehenbleibt bei einem Resultat und über alle Antworten hin sich immer wieder ungeduldig und unbändig weiterfragt. Niemals zieht er eine Erkenntnis dauernd an sich und macht sie mit Eid und Treuschwur zu seinem Weibe, zuseinem »System«, zu seiner »Lehre«. Alle reizen ihn an, und keine kann ihn halten. Sobald ein Problem die Jungfräulichkeit, den Reiz
und das Geheimnis der erbrochenen Scham verloren hat, läßt er es mitleidslos, eifersuchtslos den andern nach ihm, so wie Don Juan, sein Bruder im Triebe, seine mille e tre, ohne sich weiter um sie zu bekümmern. Denn wie jeder große Verführer durch alle Frauen hindurch die Frau, so sucht Nietzsche durch alle Erkenntnis hindurch die Erkenntnis, die ewig irreale und nie ganz erreichbare; ihn reizt bis zum Schmerz, bis zur Verzweiflung nicht das Erobern, nicht das Halten und Haben, sondern immer nur das Fragen, das Suchen und Jagen. Unsicherheit, nicht Gewißheit ist seine Liebe – Erkenntnis im Sinne der Bibel, wo der Mann das Weib »erkennt« und damit gleichsam geheimnislos macht. Er weiß, der ewige Relativist der Werte, daß keiner dieser Erkenntnisakte, dieser Besitzergreifungen mit heißem Geist schon ein wirkliches »Zu-Ende-Kennen« ist, daß sich Wahrheit im letzten Sinn nicht besitzen läßt: denn »wer da empfindet, ich bin im Besitz der Wahrheit, wie vieles läßt der nicht fahren«. Darum richtet sich Nietzsche niemals haushälterisch ein im Sinne des Sparens und Bewahrens und baut kein geistiges Haus: er will – oder er muß vielmehr aus dem nomadischen Zwang seiner Natur – der ewig Besitzlose bleiben, der nicht Dach hat und Weib und Kind und Gesind, aber dafür die Lust und die Freude der Jagd: er liebt gleich Don Juan nicht die Dauer des Gefühls, sondern die »großen und verzückten Augenblicke«, ihn locken einzig die Abenteuer des Geistes, jene »gefährlichen Vielleichts«, die heiß machen und anspornen, solange man sie jagt, und nicht satt machen, sobald man sie greift – er will keine Beute, sondern (wie er sich selbst im Don Juan der Erkenntnis schildert) nur den »Geist, Kitzel und Genuß an Jagd und Intriguen der Erkenntnis – bis an die höchsten und fernsten Sterne der Erkenntnis hinauf –, bis ihm zuletzt nichts mehr zu erjagen übrigbleibt als das absolut Wehetuende der Erkenntnis, gleich dem Trinker, der am Ende Absinth und – Scheidewasser trinkt«.
Denn der Don Juan im Geiste Nietzsches ist kein Epikureer, kein üppiger Genießer: dazu fehlt diesem Aristokraten, diesem feinnervigen Edelmann das dumpfe Behagen des Verdauens, das träge Ausruhen in der Sattheit, das Prahlen mit seinen Triumphen, das jemals Zufriedensein. Der Jäger der Frauen ist– wie der Nimrod des Geistes – selbst der ewig Gejagte eines unstillbaren Triebes, der rücksichtslose Verführer selbst ein Verführter seiner brennenden Neugier, ein Versucher, der versucht ist, alle Frauen in ihrer unerkannten Unschuld immer wieder zu versuchen, so wie Nietzsche fragt um der Frage willen, um der unstillbaren psychologischen Lust. Für Don Juan ist das Geheimnis in allen und in keiner, in jeder für eine Nacht und in keiner für immer: genauso für den Psychologen die Wahrheit in allen Problemen für einen Augenblick und in keinem für immer.
Darum ist Nietzsches geistiges Leben so ganz ohne Ruhepunkte, ohne stille spiegelnde Flächen: es ist durchaus stromhaft, wanderhaft, voll plötzlicher Umwendungen, Kehren und Stromschnellen. Bei den andern deutschen Philosophen geht ihr Dasein episch-gemächlich dahin, ihre Philosophie stellt das behaglich-handwerkliche Fortspinnen eines einmal entwirrten Fadens dar, sie philosophieren gleichsam seßhaft,
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