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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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hier ist wirklich Psychologie, wie er es selber fordert, »Auslegung des Leibes«, Verlängerung einer Nervendisposition ins Zerebrale. Alle andern Psychologen scheinen neben dieser seiner divinatorischen Sensibilität irgendwie dumpf und plump. Selbst Stendhal, der mit ähnlich zarten Nerven instrumentiert war, kann sich ihm nicht vergleichen, weil ihm die leidenschaftliche Betonung, der vehemente Ausschlag fehlt: er notiert nur lässig Beobachtungen, indes Nietzsche mit der ganzen Wucht seines Wesens sich auf jede einzelne Erkenntnis stürzt, so wie der Raubvogel aus seiner unendlichen Höhe auf ein winziges Getier. Einzig Dostojewski hat noch ähnlich hellsichtige Nerven (gleichfalls aus einer Überspannung, aus einer krankhaften, schmerzhaften Sensibilität); aber Dostojewski steht wieder hinter Nietzsche an Wahrhaftigkeit zurück. Er kann ungerecht sein und übertreiberisch mitten in seinem Erkennen, indes Nietzsche auch in der Ekstase nicht einen Zoll seiner Rechtlichkeit preisgibt. Nie war darum ein Mensch vielleicht so sehr naturbestimmter, geborener Psychologe, nie ein Geist so sehr zum feinempfindlichen Druckmesser für die Meteorologie der Seele zugeschliffen; nie hatte die Erforschung der Werte ein so präzises, ein so sublimes Instrument.
    Aber für vollendete Psychologie genügt es nicht, das feinste, schneidendste Skalpell, das erlesenste Instrument des Geistes zu besitzen – auch die Hand des Psychologen muß stählern sein, geschmeidiges und hartes Metall, sie darf nicht zittern und zurückzucken bei ihren Operationen. Denn Psychologie ist mit Begabung noch nicht erschöpft, sie ist vor allem auch Sache des Charakters, jenes Mutes, »alles zu denken, was man weiß«, sie ist im idealen Fall wie bei Nietzsche Erkenntnis fähigkeit , gepaart mit einer ganz urhaften männlichen Kraft des Erkenntnis willens . Der wirkliche Psychologe muß dort, wo er sehen kann , auch sehen wollen , er darf nicht aus einersentimentalen Nachsicht, einer privaten Ängstlichkeit und Scheu vorbeisehen und vorbeidenken oder sich von Rücksichten und Sentimenten einschläfern lassen. Bei ihnen, den gerechten Wägern und Wächtern, »deren Aufgabe das Wachsein ist«, darf es keine Konzilianz geben, keine Gutmütigkeit, keine Ängstlichkeit, kein Mitleid, keine der Schwächen (oder Tugenden) des bürgerlichen, des mittleren Menschen. Ihnen, den Kriegern, den Eroberern des Geistes, ist es nicht erlaubt, auf ihren verwegenen Patrouillengängen irgendeine Wahrheit, die sie ertappen, gutmütig entwischen zu lassen. In Dingen der Erkenntnis ist »Blindheit nicht Irrtum, sondern Feigheit«, Gutmütigkeit ein Verbrechen, denn wer Rücksicht hat auf Scham und Wehetun, Furcht vor dem Geschrei der Entblößten, vor der Häßlichkeit der Nacktheit, der entdeckt niemals letztes Geheimnis. Jede Wahrheit, die nicht bis zum Äußeren geht, jede Wahrhaftigkeit ohne Radikalismus hat keinen ethischen Wert. Deshalb auch Nietzsches Härte gegen alle, die aus Trägheit oder Denkfeigheit die heilige Pflicht zur Entschlossenheit versäumen, deshalb sein Zorn gegen Kant, daß er den Gottbegriff durch eine heimliche Tür in sein System wieder einschleichen ließ, darum sein Haß gegen alles Blinzeln und Augenzudrücken in der Philosophie, gegen den »Teufel oder Dämon der Unklarheit«, der die letzte Erkenntnis feige verschleiert oder verwischt. Es gibt keine abgeschmeichelten Wahrheiten großen Stils, keine zutraulich und lockend herausgeplauderten Geheimnisse: nur mit Gewalt, Kraft und Unerbittlichkeit läßt sich die Natur ihr Kostbarstes abringen, nur mit Brutalität werden in der Moral des »großen Stils« die »Furchtbarkeit und Majestät unendlicher Forderungen« gestellt. Alles Verborgene fordert harte Hände, unerbittliche Intransigenz: ohne Redlichkeit gibt es kein Erkennen, ohne Entschlossenheit keine Redlichkeit, keine »Gewissenhaftigkeit des Geistes.« »Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind; wo ich wissen will, will ich auch redlich sein, nämlich hart, strenge, enge, grausam und unerbittlich.«
    Diesen Radikalismus, diese Härte und Unerbittlichkeit hat der Psychologe in Nietzsche nicht geschenkt bekommen vom Schicksal wie seinen falkenhaften Blick: ihn hat er erkauft um den Preis seines ganzen Lebens, seiner Ruhe, seines Schlafes, seiner Bequemlichkeit. Von Anfang an eine weiche, gütige, umgängliche, eher heitere und durchaus wohlgesinnte Natur,muß sich Nietzsche erst durch eine spartanische Gewaltsamkeit des Willens

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