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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Ichs wegwerfen (indes Goethe nichts preisgibt und nur chemisch verwandelt und destilliert). Nichts bleibt in seinem wandelhaften Weltbild vom Früheren, vom Vergangenen gültig und unwidersprochen: darum sind auch seine einzelnen Phasen gar nicht brüderhaft, sondern feindselig gegeneinandergestellt. Immer ist er auf dem Weg nach Damaskus; nicht bloß eine einmalige Umwendung seines Glaubens, seines Gefühls wird ihm zuteil, sondern unzählige, denn jedes neue geistige Element dringt bei ihm nicht bloß ins Geistige ein, sondern bis ins Eingeweide: moralische und intellektuelle Erkenntnisse formen sich bei ihm chemisch in andern Blutlauf, anderes Gefühl, anderes Denken um. Als verwegener Spieler setzt Nietzsche (wie Hölderlin einmal von sich fordert) »die ganze Seele der zerstörenden Macht der Wirklichkeit aus«, und von allem Anfang an habenErfahrung und Eindrücke auf ihn diese Form vehementer und völlig vulkanischer Einbrüche. Wie er als junger Student in Leipzig Schopenhauers »Die Welt als Wille und Vorstellung« liest, kann er zehn Tage nicht schlafen, sein ganzes Wesen wird von einem Zyklon umgewühlt, der Glaube, auf den er sich stützt, stürzt schmetternd ein; und als sich der geblendete Geist allmählich aus dem Taumel ernüchtert, findet er eine vollkommen veränderte Weltanschauung, eine neue Lebensauffassung. Ebenso wird die Begegnung mit Richard Wagner zum leidenschaftlichen Liebeserlebnis, das die Spannkraft seines Gefühls ins Unendliche erweitert. Von Triebschen nach Basel zurückgekehrt, hat sein Leben einen neuen Sinn: der Philologe in ihm ist über Nacht abgestorben, die Perspektive von der Vergangenheit, die Historie, hat sich in die Zukunft verschoben. Und eben weil von dieser geistigen Liebesglut die ganze Seele durchdrungen war, reißt dann die Loslösung von Wagner eine klaffende, beinahe tödliche Wunde, die sich nie mehr schließt und die völlig vernarbt. Immer stürzt wie bei einem Erdbeben bei jeder dieser geistigen Erschütterungen der ganze Bau seiner Überzeugungen in Trümmer zusammen, immer wieder muß Nietzsche sich von Grund aus neu gestalten. Nichts wächst sanft, still und unhörbar, naturhaft organisch in ihm empor, nie dehnt und spannt sich in heimlicher Arbeit das innere Wesen zu breiterem Stand: alles, selbst die eigenen Ideen, schlagen in ihn hinein »wie Blitzschläge«, immer muß eine Welt in ihm vernichtet sein, damit sein Kosmos neu entstehe. Diese Schlagwetterkraft der Idee bei Nietzsche ist ohne Beispiel: »Ich will«, so schreibt er einmal, »von der Expansion des Gefühls erlöst sein, die solche Produktionen mit sich führen; es ist mir öfter der Gedanke gekommen, daß ich an so etwas plötzlich sterben werde.« Und tatsächlich stirbt immer etwas bei seiner geistigen Erneuerung ab, immer wird etwas im innern Gewebe zerrissen, gleichsam als ob ein stählernes Messer hineingefahren wäre, das alle früheren Verbindungen zertrennte. Nie vielleicht hat sich ein Mensch so entsetzlich qualvoll entwickelt, so aus sich selber blutig herausgeschunden. Alle seine Bücher sind darum eigentlich nichts anderes als die klinischen Berichte dieser Operationen, die Methoden seiner Vivisektionen, eine Art Geburtshelferlehre des freien Geistes. »Meine Bücher reden nur von meinen Überwindungen« – sie sind die Geschichteseiner Verwandlungen, seiner Kindbetten und Schwangerschaften, seiner Tode und Neuauferstehungen, die Geschichte der gegen das eigene Ich rücksichtslos geführten und gerichteten Kriege, Exekutionen und Züchtigungen, und in summa eine Biographie all der Menschen, die Nietzsche die zwanzig Jahre seines geistigen Lebens gewesen und geworden ist.
    Das unvergleichbar Eigentümliche dieser fortwährenden Verwandlungen Nietzsches ist nun, daß seine Lebenslinie im gewissen Sinne eine rückläufige Bewegung darstellt. Nehmen wir Goethe – immer wieder ihn, die sinnfälligste aller Erscheinungen – als den Prototyp einer organischen Natur, die geheimnisvoll mit dem Weltlauf im Einklange steht, so sehen wir, daß die Formen seiner Entwicklung symbolisch die Lebensalter spiegeln. Goethe ist überschwenglich-feurig als Jüngling, besonnen-tätig als Mann, begrifflich-klar als Greis: der Rhythmus seines Denkens entspringt organisch der Lebenstemperatur seines Blutes. Sein Chaos ist im Anfang (wie immer beim Jüngling), seine Ordnung am Ende (wie immer beim Greis), er wird konservativ, nachdem er Revolutionär gewesen, wissenschaftlich aus anfänglichem Lyrismus,

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