Der Kelim der Prinzessin
Miene gab Yves zu erkennen, dass ihm die >Kinder des Grab und ihre Bestimmung seit ihrer frühesten Jugend durchaus vertraut waren, im Gegenteil, er stellte sich völlig unwissend. Das verleitete Khazar und Baitschu, den Neffen und den Sohn des mongolischen Oberbefehlshabers Kitbogha, dem Fremden
bereitwillig von der Bedeutung des Königlichen Paares zu berichten, das zwar gerade nicht beim Heere weile ...
»— auf unserem siegreichen Vormarsch ist es uns >abhanden< gekommen«, räumte Khazar, der Ältere, ungehalten ein, »weil wir nicht genügend Acht gaben - «
»- weil wir es ihnen an Achtung fehlen ließen.« Sein jugendlicher Begleiter legte Wert auf den feinen Unterschied. »Die großmächtige Heeresleitung weiß nicht einmal«, setzte der Knabe
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Baitschu noch naseweis hinzu, »wo Roc und Yeza sich zur Zeit aufhalten!«
Dem stämmigen Khazar ging die Plauderei nun doch zu weit, er fuhr Baitschu über den Mund. »Wir alle sind sicher, das erhabene Königliche Paar in Bälde - «
»- zu versöhnen?!« Der Knabe blieb renitent.
»- wieder seiner >Bestimmung< zuführen zu können!«
Der kecke Baitschu konnte über diese protokollarisch korrekte Verbreitung von Zuversicht nur grinsen, hinter dem breiten Rücken des Älteren. Der Bretone fing den belustigten Blick - wider seine sonstige herbe Art, sich für menschliche Regungen empfänglich zu zeigen - mit einem wohlwollenden Hochziehen seiner buschigen Augenbraue auf. >BestimmungOutremer<, das die Mongolen mit Sicherheit sich zu unterwerfen gedachten, dann würden den jungen Königen schlagartig mehr erbitterte Feinde sich entgegenstellen, als Skorpione unter jedem Stein in der Wüste zwischen Tigris und Nil hockten! Zu bezweifeln war auch, ob die christlichen Barone des Königreiches von Jerusalem sonderlich erpicht auf eine solche »Oberherrschaft« waren - ganz zu schweigen vom Patriarchen, der Speerspitze der >ecclesia catolica< Roms. Nicht einmal für den Orden der Templer wollte er, Yves, seine Hand ins Feuer legen ...
»Niemand kann seiner Bestimmung entgehen«, murmelte der Bretone mehr zu sich selbst.
JERUSALEM WAR EINE WÜSTE STÄTTE. Seit eingefallene Choresmierhorden den letzten Überbleibseln
christlicher Herrschaft noch zu Lebzeiten des großen Staufers endgültig den Todesstoß versetzt hatten, lag nicht nur die Stadt in Schutt und Asche, auch alles Leben schien aus
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ihr gewichen. Der ägyptische Souverän hielt es nicht einmal mehr für nötig, dort noch eine Garnison zu unterhalten. Lediglich einige Torwachen waren zurückgeblieben, sich selbst überlassen, sie lebten von der kargen Maut, die sie jedem abknöpften, der einen der offiziellen Zugänge zur Stadt in Anspruch nahm oder ihr zu entfliehen suchte.
Der Franziskaner William von Roebruk - das armselige Kloster des Ordens neben der Basilika des Heiligen Grabes war bis auf die Grundmauern niedergebrannt - hatte durch mächtige Gönner Zuflucht auf dem Montjoie gefunden, jenem Hügel, der frommen Pilgern den ersten beglückenden Anblick der glänzenden Kuppeln und trutzigen Türme des seligen Hierosolyma darbot wie himmlisches Manna. Das Schiff des den >Berg der Freude< krönenden Wallfahrtskirchleins war eingestürzt, doch der wehrhafte Glockenturm - seines Geläuts längst beraubt
- bot dem Minoriten eine sichere Bleibe, konnte er doch die zur Glockenstube hinaufführende Leiter jederzeit einziehen.
Für sein leibliches Wohl sorgte der alte Sakristan, der den angrenzenden Pilgerfriedhof in einen Gemüsegarten verwandelt hatte und sehr geschickt darin war, von den Stauden und Knollen angelocktes Getier in Fallen und Netzen zu fangen, auch streunende Hunde und Katzen gingen ihm arglos in die Schlingen - ebenso arglos wie sein einziger Kostgänger William die würzig angerichteten Eintöpfe begierig verschlang. Wer weiß schon, wie ein fetter Maulwurf oder gar ein Igel schmeckt, wenn ihr ausgelöstes Fleisch zwischen Rüblein und Kürbisgurken, Rettichwurzeln und reichlich Zwiebeln gar gesotten, mit Äpfeln, Feigen und Datteln und vielerlei Beeren versüßt, schließlich mit der Schärfe kleiner Pfefferschoten, wildem
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