Der Kirschbluetenmord
wirklichen Anschlag. Er, Sano, mußte Tokugawa Tsunayoshi davor warnen, daß er mit den Angriffen weiterer achtzehn Attentäter rechnen mußte.
»He, du da«, rief der dōshin. Mit den Ellbogen stieß er zwei taumelnde Betrunkene zur Seite, als er auf Sano zukam. »Komm einmal her.«
Sich der Gefahr bewußt, blickte Sano am Shōgun vorbei zum entfernten Ende der Straße. Unter den flüchtenden Zuschauern entdeckte er drei Samurai, die es offenbar überhaupt nicht eilig hatten, das Weite zu suchen. In schlichte dunkle Kimonos gekleidet und Strohhüte auf dem Kopf, die ihre Gesichter beschatteten, schlenderten sie dahin und ließen sich von den Flüchtenden überholen. Ungefähr zehn Schritte trennten die drei Männer; der in der Mitte ging in der Straßenmitte, während die beiden anderen ihn auf gleicher Höhe flankierten. Als sie sich dem Shōgun und seinen Leuten näherten, verringerten sie die Abstände zueinander, bis sie eine Dreiergruppe bildeten. Sofort schritten sie schneller aus. Der Mann in der Mitte hob den Kopf und warf einen raschen Blick zu den Hausdächern empor. Der Schein der Laternen beleuchtete sein angespanntes junges Gesicht. Sano erkannte, daß es Fürst Maeda war, den er auf dem geheimen Treffen in der Sommervilla der Nius gesehen hatte.
»Hoheit!« rief er dem Shōgun zu und stürmte nach vorn. »Hinter Euch! Paßt auf!«
Statt sich umzudrehen, starrten der Shōgun und seine Leibwächter Sano an. Fürst Maeda war nur noch wenige Schritte von dem Wächter entfernt, der zwischen ihm und Tokugawa Tsunayoshi stand. Maedas Hand glitt zum Griff seines Schwertes.
Dann aber wirbelte der Wächter herum – sei es Sanos warnenden Zurufs wegen oder weil er die drohende Gefahr gespürt hatte. Fürst Maeda riß sein Schwert aus der Scheide. Er schwang es erst zur Seite, dann über den Kopf. Doch bevor er die Klinge auf sein Opfer niedersausen lassen konnte, hatte auch der Leibwächter sein Schwert gezogen und hielt es in der linken Hand. Blitzartig vollführte er einen wuchtigen Hieb, der Fürst Maeda die Brust aufschlitzte. Maeda schrie gellend auf, sprang vor und stieß dem Leibwächter die Klinge tief in den Hals. Tödlich getroffen, fielen beide Männer zu Boden.
Ein neuerliches, wildes Durcheinander entstand, als weitere Zuschauer, die sich bislang noch nicht in Sicherheit gebracht hatten, nun die Flucht ergriffen. Aus den Freudenhäusern erklangen die schrillen Schreie der Prostituierten.
Sano wich den flüchtenden Menschen aus, als der dōshin ihn plötzlich am Arm packte.
»Wer seid Ihr?« fragte er mit scharfer Stimme. »Was wißt Ihr über diese Sache?«
Sano beachtete ihn nicht. »Bringt Euch in Sicherheit!« rief er dem Shōgun zu. »Es gibt noch mehr Angreifer!«
Doch es war zu spät zur Flucht. Weitere Männer in dunklen Umhängen erschienen wie aus dem Nichts. Sie umringten die Gruppe mit dem Shōgun und vereitelten die Versuche der Leibwächter, ihren Herrn hastig im Innern eines Gebäudes in Sicherheit zu bringen. Plötzlich wimmelte es auf den Straßen von wirbelnden Kämpfern und blitzenden Klingen. Stahl klirrte auf Stahl. Heisere Schreie erfüllten die Nacht. Inmitten des Tumults stand Tokugawa Tsunayoshi, der Militärdiktator, der den schönen Künsten den Vorzug vor der Kriegskunst gab und das Studium des Konfuzius vor den Staatsangelegenheiten. Unbewaffnet kauerte er hinter dem Schutzwall, den seine Männer bildeten – eine jämmerliche Gestalt in seinen prächtigen Gewändern und der langen Perücke. Seine weiße Schminke verlieh seinem angstverzerrten Gesicht einen häßlich-komischen Ausdruck.
Der dōshin ließ Sanos Ärmel los und rief seine Helfer herbei, als auch er sich in die Schlacht stürzte. Die Leibwächter kämpften mit Mut, Verwegenheit und tödlichem Geschick, wie es sich für die besten Krieger der Tokugawas geziemte, doch auf jeden Verteidiger kamen zwei Angreifer. Auch Sano zog sein Schwert und stürzte sich ins Handgemenge.
Einer der Männer Fürst Nius stürmte mit erhobener Waffe auf ihn zu. Sano machte einen blitzschnellen Schritt zur Seite, wirbelte herum und schlitzte seinem Angreifer den Rücken auf. Der Mann schrie und stürzte mit dem Gesicht voran zu Boden. Er war tot. Den nächsten Angreifer spürte Sano eher kommen, als daß er ihn hörte. Der Mann griff von hinten an. Sano ließ sich auf ein Knie fallen, kreiselte herum und vollführte einen tief angesetzten Schwertstreich, der dem Gegner den Bauch aufschlitzte. Neben der Leiche des ersten
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