Der Klang des Verderbens
Vaters und ihres ältesten Bruders getreten war.
Ihr Vater war Polizist gewesen. Ihr Bruder, Ethan, ein Feuerwehrmann. Als wahre Helden waren sie sofort zum Tatort geeilt, um zu helfen, und in die Falle getappt, die die Terroristen am Monument aufgestellt hatten. Nichts als Staub war von ihnen übrig geblieben; all die ungesagten Worte, die unerfüllten Träume, so viele großartige Möglichkeiten verloren an einem grausamen Tag, der der Welt für immer eine Narbe verpasst hatte – und Ronnies Herz ebenfalls.
Wenn sich wenigstens ihre allerletzte Hoffnung – dass ihr zweiter Bruder Drew überlebte – bewahrheitet hätte, dann hätte sich ihre Seele vielleicht nicht völlig verhärtet. Aber das war nicht der Fall. Der liebe, lustige Drew hatte in einer der unglückseligen Untergrundbahnen gesessen. Im Gegensatz zu ihrem Dad und Ethan, deren in winzige Stücke zerfetzte Überreste mittels DNA identifiziert und beigesetzt worden waren, war von Drew nicht eine einzige Spur gefunden worden. Als hätte es ihn von diesem Planeten gefegt. Oder als wäre er nie geboren worden.
Auf dem Handy hatte sie ein Bild, das ihr jemand vom Sicherheitsdienst der Metro geschickt hatte. Es stammte von einer einfachen Überwachungskamera, die an diesem Vormittag den Bahnsteig gefilmt hatte. Darauf war ein lächelnder Drew zu sehen, der einer älteren Frau, die er nicht einmal kannte, in den Zug half.
So wollte sie ihn immer in Erinnerung behalten: hilfsbereit und lächelnd. Stets so gutmütig. Ihr Bruder, der lediglich elf Monate vor ihr zur Welt gekommen war, war in die Bahn gestiegen, um einen Ausflug zu machen, und dann … irgendwo anders wieder ausgestiegen. Irgendwo, wo es keinen Schmerz gab, kein Feuer, kein verbogenes Metall, quietschende Bremsen oder einstürzende Tunnel. Nur Frieden. Und nun stießen die drei Sloan-Männer auf ewig mit ihren Bierkrügen an und feuerten die Redskins an. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie hören, wie sie scherzhaft miteinander stritten, nach Ronnie riefen, nach ihrer Mom, nach den jungen Ehefrauen von Ethan und Drew, dass sie doch aus der Küche zu ihnen herüberkommen sollten.
Nichts als Träume. Nichts als Erinnerungen.
Ihre Schwägerinnen heirateten beide wieder. Ihre Mutter trieb der Verlust all ihrer drei Männer an den Rand des Wahnsinns. Und Ronnie … tja, trotz ihrer Erinnerungen, ihrer Fantasien und hauchzarten religiösen Hoffnungen zog sie sich innerlich völlig zurück.
Manche Menschen hielten sie für eine gefühlskalte Zicke. Doch sie selbst wusste, dass sie ihr Herz mit einer Eisschicht überziehen musste, weil sie nie wieder so etwas fühlen wollte wie damals.
Und deswegen musst du Jeremy Sykes vergessen.
Freundschaft war schwer genug. Sie war das Risiko eingegangen, ein paar Menschen näher an sich heranzulassen – Daniels, Ambrose, ihren Nachbarn Max. Aber romantische Gefühle? Liebe zu empfinden –
wahre
Liebe – und sie wieder zu verlieren? Das konnte sie zerstören. Jeremy Sykes bedeutete ihr jetzt schon mehr, als sie vertrug. Also war es nur gut, dass er fort war.
»Hab ich irgendwas Wichtiges verpasst?«, fragte Baxter, nachdem sie den Computer hochgefahren und allerlei Papiere auf ihrem – oder eigentlich
Daniels’
– Schreibtisch ausgebreitet hatte. »Ist vielleicht ein großer Fall reingekommen?«
»Nö.«
»Schade.«
»Denken Sie dran, manchmal ist es nicht schlecht, wenn alles so bleibt, wie es ist.«
Baxter plumpste auf ihrem Stuhl nach hinten. »Ich wünschte, wir würden einen spannenden Fall bekommen. Ich bin doch hergezogen, weil ich ein bisschen Action wollte. Wenn ich mich hätte langweilen wollen, wäre ich in Huntsville geblieben.«
»Ich dachte, Sie sind umgezogen, weil Sie Ihr Land so lieben und ihm unbedingt in der Hauptstadt dienen wollten.«
»Das auch.«
»Seien Sie einfach dankbar, wenn es mal ruhiger zugeht«, sagte Ronnie. Dann und wann musste sie schließlich ihrer Aufgabe als Mentorin gerecht werden. »Wenn was Größeres reinkommt, werden Sie sich noch nach den Zeiten zurücksehnen, in denen Sie nur Zehn-Stunden-Schichten geschoben und nachts ein bisschen Schlaf bekommen haben.«
»Klingt langweilig.«
»Ist aber notwendig. Wenn man sich zwischendurch nicht von den anstrengenden Einsätzen erholen kann, hält man nicht lange durch in diesem Job. So was nennt sich Burn-out und ist der häufigste Grund dafür, dass Bullen nachlässig und getötet werden.«
Abgesehen davon konnte Ronnie Langeweile gerade ganz gut
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