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Der Klavierstimmer

Der Klavierstimmer

Titel: Der Klavierstimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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zwei Tage vorher fast in Ohnmacht gefallen war, als er die viele Technik sah, dazu überall abgebröckelter Putz, wo ich Haken für die Mikrophone in Wand und Decke geschlagen hatte. Im Streit mit ihm habe ich, ganz ohne Absicht, plötzlich Sätze benutzt, die aus dem Kohlhaas -Libretto stammen könnten. Als er die steifen und pathetischen Worte hörte, muß er entschieden haben, daß ich verrückt sei. Plötzlich nämlich wurde er ganz ruhig, sagte zu allem ja und wünschte mir gute Reise. Die Geschichte war am Tisch der Arnauds ein voller Erfolg. Was ich nicht erzählte, war das Gespräch, das ich am Vortag mit Katharina Mommsen führte, um zu erfahren, wie ich mich im Streit mit Baranski, der inzwischen seinen Anwalt eingeschaltet hatte, verhalten solle.«Keine Kohlhaasiade! »sagte Katharina. Was ich an dem Wort nicht mochte, war, daß es Vater lächerlich zu machen schien.
    Nach dem Essen, als uns der leichte Gesprächsstoff ausging und die Tragödie der Familie Delacroix mit einemmal in den Raum hineinragte, fragte Madame Arnaud, ob ich mir eigentlich Vater als erfolgreichen Mann vorstellen könne. Als Mann, auf dem die Blicke ruhten. Sie habe ihn ja kaum gekannt, er sei nur zweimal bei ihnen zum Stimmen gewesen. Und wenn er dabei allein sein wollte und es ihn zu stören schien, wenn sie ihm Tee brachte, brauche das nichts zu sagen. Trotzdem: Er habe auf sie wie ein Mensch gewirkt, dem es unangenehm war, betrachtet oder, besser: gemustert zu werden. Und er hätte dann doch auch Reden halten müssen. Wenigstens hätte man nach einer Eloge Dankesworte von ihm erwartet. Ob er eigentlich habe witzig sein können, geistreich? Sie habe ihn nicht humorlos gefunden, wenn sie nach dem Stimmen zusammen im Salon saßen. Aber es sei ein nach innen gewandter Humor gewesen, ein Humor, der sich selbst genügte. Ein Humor auch, der sich seiner selbst nicht immer bewußt war. Zudem könne sie sich vorstellen, daß die Leute manchmal nicht seines Humors wegen gelacht hätten, sondern der unfreiwilligen Komik wegen, die von ihm ausging. Wie von Buster Keaton. Sie und ihr Mann seien ja nun erfahren im Repräsentieren, die Arbeit in der Botschaft bringe das mit sich. Monsieur Delacroix bei solchen Anlässen: Eigentlich sei sie sicher, daß er alle fünf Minuten auf die Uhr gesehen hätte. Und dann noch etwas ganz anderes: Nahm der Applaus einem Künstler das Werk nicht auch irgendwie weg? Löste er es nicht in gewissem Sinne aus seinem Inneren heraus? Und war das nicht ein sehr hoher Preis dafür, daß die Leute zu einem sagten: Das hast du gut gemacht? Ob Vater all das wohl klargewesen sei?
    Ich nickte zu allem und dachte hinter diesem Nicken: Ich habe mir Vater nie nach einem Erfolg vorgestellt. Immer nur davor, im Anstieg. Auf eine andere Idee bin ich einfach nicht gekommen.
    «Jetzt aber zu etwas Praktischem», sagte Monsieur Arnaud, ein Mann wie ein Bär.«Könnten Sie sich vorstellen, für die Botschaft zu arbeiten? Als Übersetzer? Dolmetscher?»«Papa!»sagte Juliette, und es war, als riefe sie aus: Das kann er doch jetzt noch nicht wissen, nicht in diesem Moment, wo er noch mit Chile ins reine kommen muß, und mit sich selbst! Ich sah auf die Uhr. In fünfundsechzig Stunden würde ich am anderen Ende der Welt in einen Hochsommermorgen hinaustreten, sagte ich. Ich wisse nicht, was dann mit mir geschehen werde. Wenn ich in den vergangenen Wochen etwas gelernt hätte, dann dieses: daß alles Denken und Empfinden ganz und gar vorläufig sei, daß es von lauter Dingen beeinflußt werde, die mit ihm genaugenommen nichts zu tun hätten, und daß aus einem vorläufigen Denken und Empfinden nie etwas anderes werden könne als noch mehr vorläufiges Denken und Empfinden.
    Am nächsten Morgen waren wir zu früh in Tegel. Da erzählte ich Juliette von Pacos Worten beim letzten Anruf.«Du bist aber auch empfindlich mit Worten», sagte sie.«Aber wer weiß, vielleicht ist es ganz gut so. Wie ich schon einmal sagte: Du kannst dein Leben nicht seinetwegen in Chile leben.»
    Sie mußte gehen. Es war wie ein Schnitt, als sich die Tür des Flughafengebäudes hinter ihr schloß. Ich habe dir Juliette nie beschrieben. Ich tue es auch jetzt nicht.

    Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee war, einen Tag vor unserem Treffen nach Paris zu kommen. Es ist sieben Jahre her, daß ich zum letztenmal hier war, und ich wollte mich vorbereiten können, wenigstens zwei halbe Tage lang. Wobei ich keine Ahnung hatte, was das hieß: mich vorbereiten.
    Ich

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