Der kleine Mann
Zimmerkellner, der das Frühstücksgeschirr wegtragen wollte: „Wenn ich nicht genau wüßte, daß der Junge lesen und schreiben lernt, dächte ich bestimmt, er hätte Turnstunde.“ Da mußten sie alle lachen. Auch Minna und Emma, die auf dem Schrank saßen, lachten mit. Denn es waren Lachtauben.
Mit dem Buchstabieren hielt sich Mäxchen nicht lange auf. Schon nach kurzer Zeit las er so flink, als hätte er’s schon immer gekonnt. Und nun wurde er im Handumdrehen zur Leseratte. Das erste Buch, das ihm Jokus von Pokus schenkte, waren Grimms Märchen. Und womöglich hätte er sie in einer knappen Woche ausgelesen gehabt, wenn nicht die verflixte Bockleiter gewesen wäre!
Jedesmal, wenn er umblättern mußte, blieb ihm gar nichts weiter übrig, als die Leiter hinunterzuklettern, auf den Tisch zu hopsen, die Seite umzuwenden und die Leiter wieder hochzukrabbeln. Erst dann erfuhr er, wie das Märchen weiterging. Und zwei Seiten später mußte er schon wieder zum Buch hinunter! So ging das in einem fort: umblättern, die Leiter hoch, zwei Seiten lesen, die Leiter hinunter, auf den Tisch, schnell umblättern, die Leiter hinauf, die nächsten zwei Seiten lesen, die Leiter hinunter, umblättern, hinauf, — es war zum Auswachsen!
Eines Nachmittags kam der Professor gerade dazu, wie der Junge zum dreiundzwanzigsten Mal die Leiter hochkraxelte, sich wütend die Haare raufte und schrie: „Das ist ja fürchterlich! Warum gibt es denn, um alles in der Welt, keine kleineren Bücher? Mit klitzekleinen Buchstaben?“
Erst mußte der Professor über Mäxchens Zorn lachen. Dann wurde er nachdenklich und meinte: „Eigentlich hast du ganz recht. Und wenn es solche Bücher noch nicht gibt, werden wir sie für dich drucken lassen.“
„Gibt es denn jemanden, der das kann?“ fragte der Junge.
„Ich habe keine Ahnung“, sagte der Zauberkünstler. „Aber im März gastiert der Zirkus in München. Dort lebt der Uhrmacher Unruh. Bei dem werden wir uns erkundigen.“
„Und wieso weiß es der Uhrmacher Unruh?“
„Ich weiß nicht, ob er es weiß. Aber er könnte es wissen, weil er sich manchmal mit solchen Dingen beschäftigt. So hat er vor zehn Jahren Schillers ,Lied von der Glocke’ auf die Rückseite einer Briefmarke geschrieben. Und das Gedicht ist immerhin 425 Zeilen lang.“
„Donnerwetter!“ rief Mäxchen begeistert. „Bücher nicht größer als Briefmarken, das wäre für mich genau das richtige!“
Um es kurz zu machen: Der Uhrmacher Unruh kannte tatsächlich eine Druckerei, die so kleine Bücher drucken konnte! Das war allerdings ein teurer Spaß. Doch der Professor verdiente als Zauberkünstler eine ganze Menge Geld, und Mäxchens Eltern hatten Ersparnisse hinterlassen. So dauerte es gar nicht lange, und der Junge hatte eine hübsche winzige Bibliothek beisammen.
Nun brauchte er nicht mehr auf der Leiter herumzuturnen, sondern konnte sich’s beim Lesen bequem machen. Am liebsten las er abends, wenn er in der Streichholzschachtel lag und der Professor eingeschlafen war und leise vor sich hinschnarchte. Ach, war das gemütlich! Oben auf dem Schrank gurrten die beiden Tauben. Und Mäxchen schmökerte in einem seiner Lieblingsbücher, im ,Zwerg Nase’, im ,Kleinen Däumling’, im ,Nils Holgersson’ oder, am allerliebsten, im ,Gulliver’.
Manchmal knurrte der Professor im Halbschlaf: „Lösche das Licht aus, du Bengel!“
Dann flüsterte Mäxchen: „Sofort, Jokus!“ Mitunter dauerte das Sofort eine halbe Stunde. Aber schließlich knipste er die Lampe dann doch aus, schlief ein und träumte von Gulliver im Lande Liliput, wo ihn die Bewohner für einen Riesen hielten.
Und dieser Riese, der über die Stadtmauern stieg und die feindliche Kriegsflotte kaperte, war natürlich kein anderer als Mäxchen Pichelsteiner.
3. Kapitel
Er will Artist werden / Lange Menschen und große Menschen sind nicht ein und dasselbe / Ein Gespräch in Straßburg / Über den Beruf des Dolmetschers / Der Plan des Professors scheitert an Mäxchens Starrsinn.
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Je älter der Kleine Mann wurde, umso öfter unterhielten sie sich darüber, was er einmal werden wolle. Jedesmal erklärte er: „Ich will zum Zirkus. Ich werde Artist.“ Und jedesmal schüttelte der Professor den Kopf und sagte: „Aber Junge, das geht doch nicht! Dafür bist du ja viel zu klein!“
„Du redest manchmal so und manchmal anders“, murrte Mäxchen. „Immer wieder erzählst du mir, wieviele berühmte Männer klein gewesen sind. Napoleon und Julius
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