Der Koch
weißen Himmel über der Lichtung fiel jetzt Schnee.
APRIL 2009
48
Einige der zeitaufwendigen Zutaten des Menüs ließen sich gut am Vortag zubereiten. Zum Beispiel das erotische Konfekt, das sich gekühlt gut hielt. Oder die Urd-Folien, die ihre Zeit zum Trocknen und Gelieren brauchten. Auch die Essenzen aus dem Rotationsverdampfer hielten sich in luftdicht verschlossenen Gefäßchen problemlos.
Mit diesen Arbeiten war er beschäftigt, als es an der Wohnungstür klingelte. Er öffnete. Im Halbdunkel des Treppenhauses stand groß und lächelnd Makeda.
»Mach nicht so ein erschrockenes Gesicht, außer der Nachbarin im zweiten Stock hat mich niemand gesehen.« »Das reicht vollauf«, sagte er und ließ sie ein. Sie legte ihren Mantel ab. Darunter trug sie ein traditionelles äthiopisches Kleid. »Passt besser in die Gegend, fand ich.«
»Was willst du?«, fragte er.
»Am liebsten von deinem weißen Tee, Champagner hast du wohl keinen im Haus.«
Er hatte die Frage zwar nicht so gemeint und war sich auch nicht sicher, ob sie sie tatsächlich so falsch verstanden hatte, aber er nickte. Sie folgte ihm in die Küche.
Sie warf einen Blick auf das Konfekt in den verschiedenen Stadien der Vollendung. »Für Dalmann und mich?«
Maravan nickte und füllte den Teekocher mit Wasser.
»Darf ich?« Sie zeigte auf eine der noch nicht glasierten Kichererbsen-Ingwer-Pfeffermuschis.
»Aber nur eine, sie sind abgezählt.« Er nahm zwei Tassen und Untertassen aus einem Schrank und stellte sie auf ein Tablett.
Makeda angelte sich eine und biss ein Stück davon ab.
Das Wasser kochte jetzt, er goss den Tee auf und ging mit dem Tablett voraus in sein kleines Wohnzimmer.
Die Deepam brannte vor dem Hausaltar, und es duftete ausnahmsweise nach Sandelholz. Maravan hatte bei seiner letzten Andacht ein Rauchopfer gebracht. Vor dem Altar lag das Foto mit den gefallenen Kindersoldaten. Makeda betrachtete es, während Maravan für den Tee deckte.
»Welcher ist es?«
Maravan sah nicht auf. »Der Erste von links.« »Ein Kind.«
»Er wollte Koch werden. Wie ich.«
»Er wäre bestimmt ein guter geworden.«
»Bestimmt.« Maravan sah auf das Bild hinunter. »Es ist einfach ungerecht«, sagte er mit versagender Stimme.
Makeda nickte. »Ich hatte eine Cousine. Sie wollte Krankenschwester werden. Mit zehn wurde sie rekrutiert und, anstatt zu heilen und pflegen, musste sie lernen, wie man mit einer Kalaschnikow verletzt und tötet. Sie wurde keine zwölf.«
Jetzt versagte auch Makedas Stimme. Maravan legte eine Hand auf ihre Schultern.
»Für ein freies Eritrea.« Sie wollte auflachen, aber es klang mehr wie ein Schluchzen.
Sie setzten sich. Beide schlürften vorsichtig vom noch viel zu heißen Tee.
Makeda stellte ihre Tasse ab und sagte: »Es sind Leute wie Dalmann, die diese Kinder auf dem Gewissen haben.«
Maravan wiegte den Kopf. »Nein. Es sind die, die diese Kriege anzetteln.«
»Das sind die Ideologen. Die sind zwar auch schlimm. Aber nicht so schlimm wie die Lieferanten. Die die Kriege erst ermöglichen, indem sie die Waffen liefern. Die mit den Kriegen Geld verdienen und sie dadurch verlängern. Leute wie Dalmann.«
Maravan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Dalmann ist ein kleiner Fisch.«
Makeda nickte. » Aber er ist
unser
kleiner Fisch.«
Maravan schwieg.
Nach einer langen Pause sagte Makeda eindringlich: »Er steht für all die anderen.«
Maravan sagte noch immer nichts.
»Du sagst, du willst aufhören. Weshalb machst du denn noch dieses Essen? Ausgerechnet dieses?« »Ich weiß es nicht.« »Du hast etwas vor, nicht?«
»Ich weiß es nicht. - Und du? Weshalb machst du es?« »Ich weiß es.«
Draußen wurde die Sirene eines Streifenwagens laut und langsam wieder leise.
»Dalmann ist herzkrank«, sagte sie. »Hoffentlich etwas Schlimmes.«
Makeda lächelte. »Er hatte einen Infarkt. Sie haben ihm ein Röhrchen in ein Herzkranzgefäß eingesetzt. Jetzt muss er seinen Blutdruck senken und sein Blut verdünnen, sonst bekommt er wieder einen.«
Maravan schwieg und blies in seinen Tee.
»Weißt du, wo er ihn hatte?«
Maravan schüttelte den Kopf.
Makeda ließ ihr unbekümmertes Lachen erklingen, aber es klang etwas angestrengt. »Im Huwyler. Bei Hochbetrieb.« Keine Reaktion von Maravan.
»Er muss sich schonen. Keine großen Anstrengungen. Nie bis an die Leistungsgrenze gehen.« »Verstehe.«
Makeda trank einen Schluck Tee. »Kannst du auch Erektionsstörungen beheben?«, fragte sie unvermittelt.
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