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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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nicht in fünf Minuten hier ist, übernehme ich die
Regie.«
    Für Lilits neuen Traum war das Beste gerade gut genug: Torin
Diffring, der gerade seine triumphale Thyestes- Inszenierung
hinter sich hatte. (An der Stelle im Stück, wo Atreus seinen
Abendgästen die Wahrheit über die Pasteten sagte, die sie
eben gegessen hatten, waren nicht weniger als fünf Schüler
von Kusk in lautes Geschrei ausgebrochen.) Der lächerliche,
clevere Torin Diffring. Als er die Geschichte von Lilits Vergiftung
hörte, hatte er sich sofort bereit erklärt, seine
Fähigkeiten für ihre Heilung zur Verfügung zu stellen.
»Ich darf mich nicht auf meinen Lorbeeren ausruhen«, hatte
er gesagt. »Dieser Schlaflehrer wird mich in Form
halten.«
    Als ob Jonnies Ausbruch das Stichwort für ihn gewesen
wäre, kam Torin jetzt mit einem Skript des Schlaflehrers unter dem Arm auf die Wiese stolziert, gefolgt von Horg, der ein
aufgerolltes Seil, eine Elektromelone und einen Metalleimer
dabeihatte. Aus dem Eimer stieg ein fürchterlicher Gestank
auf.
    Der Regisseur ließ uns wie Rekruten in einer Reihe
Aufstellung nehmen.
    »Jeder von euch hat in dieser Show eine Menge zu tun«,
begann er. »Deshalb wollen wir keine Zeit damit verschwenden,
über Subtext und Motivation und solchen Bockmist zu diskutieren.
Führt eure Handlungen sorgfältig und zielstrebig aus, dann
kommen die Gefühle von allein.«
    Sein Blick verschränkte sich mit dem von Jonnie. »Du
hast den schwersten Job, Rondo – oder wenigstens den meisten
Text.« Er wedelte Jonnie mit dem Skript vor dem Gesicht herum.
»Bis auf ein oder zwei Sätze ist das hier durchdacht und
gut geschrieben. Behandle es wie berühmte Worte.«
    Urilla und ich sahen uns mit einem selbstzufriedenen Grinsen an.
Torins Anerkennung war besser als ein Preis der
Züchtervereinigung.
    Als nächstes blieb der Regisseur vor mir stehen.
»Quinjin dagegen hat den leichtesten Job. Ich nehme zumindest
an, daß es dir nicht schwerfallen wird, dich selbst zu
spielen.«
    »Ein Kinderspiel.«
    Als Torin zu Urilla kam, sagte er: »Und was dich betrifft,
meine Liebe, so bin ich sicher, daß du dazu neigst, deinen
Verstand abzuschalten und die Dinge einfach geschehen zu lassen. Aber
das wird nicht funktionieren. Immerhin weißt du, was passieren
wird. Dein Name steht auf dem Skript. Denk einfach daran, daß
du Lilit bist. Versuch die Welt so zu sehen, wie Lilit sie sah, bevor
sie den Apfel gegessen hat. Hast du mal Die Kröte der Nacht geträumt? Das ist das Feeling, das ich haben will. Wenn
deine Aufmerksamkeit abschweift, konzentriere dich auf irgendeine
pubertäre Zwangsvorstellung – auf Liebe, Sex
oder…«
    »Ich dachte, Jonnie hätte den schweren Job«,
meinte Urilla nervös.
    »Hör zu, meine Liebe, ich hätte einer meiner
eigenen Naiven diese Rolle geben können. Aber ich wollte jemand
haben, der Lilit kennt. Der sie kennt und sie liebt. Sei
aufnahmebereit. Das ist der Schlüssel. Nicht gedankenlos –
aufnahmebereit. Du mußt alles sehen, alles hören,
fühlen, schmecken, riechen, glauben.«
    »Ich bin keine Schauspielerin. Ich bin
Psychobiologin.«
    »Ist doch dasselbe«, sagte Torin.
»Durchlaufprobe!« rief er. »Alle auf ihre
Plätze!«
    Horg hielt Jonnie die Seilrolle hin. Der Alptrinker hängte
das Seil ans Heft seines Schwerts. Er betrat den Irrgarten und
verschwand in dessen Fängen.
    Als Horg den stinkenden Eimer zu Urilla brachte, steckte sie die
Hände hinein. Sie zog sie wieder heraus, und ein
übelriechendes Gelee tropfte von ihren Fingern. Horg langte in
seinen Mantel, brachte den berühmten Schlüssel aus dem lauernden Lügner zum Vorschein und gab ihn ihr.
    Urilla ging unter dem Dornenbogen durch, wandte sich nach rechts
und blieb stehen.
    Für mich hatte Horg keine Requisiten. Ich ging zum Brunnen,
atmete tief ein, schloß die Augen, verschränkte die Arme
und sprang. Das Blut – warm, tief und nach versengtem Flieder
riechend – schlug über meinem Kopf zusammen. Meine
luftgefüllten Lungen brachten mich nach oben. Spuckend schwamm
ich zum Gefängnisfelsen und zog mich auf ihn hinauf. Blut
triefte von meinem Hemd und meiner Hose. Die Ketten machten hirnlose
Musik, als ich sie über den Granit schleifte. Ich kettete mich
sorgfältig in sitzender Haltung an – Fußfesseln an
meinen Knöcheln, Handschellen an meinen Handgelenken. Das kalte
Eisen biß mir in die Haut.
    »Vorhang auf!« rief Torin.
    Obwohl ich im Brunnen gefangen war, wußte ich genau, was
oben vor sich ging. Ich hätte die

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