Der kuerzeste Tag des Jahres
sie Theodora zurückhaben wollen, nehme ich an.«
»Natürlich«, antwortete Hannah sofort und feuerte einen wütenden Blick auf ihn ab. »Es ist ihr Baby.« Sie grapschte einen Donut vom Tisch und begann die Marmelade davon abzulecken.
Pearl erholte sich tatsächlich. Sie wurde aus dem zweiten Krankenhaus entlassen und entspannte sich daheim, gerade als Elkanahs nächstes Engagement anstand. Diesmal sang er die Rolle des Vaters in Hänsel und Gretel . Elkanah flog wieder hinunter nach Melbourne, Theodora im Gepäck, um sie ihrer Mutter zurückzugeben.
Am Morgen der Abreise zog Hannah ihr eine blassblaue Strampelhose und ein gelbes Strickmützchen an. Am liebsten hätte Hannah geweint, sich die Pulsadern geöffnet und umgebracht, aber sie wollte das Baby nicht erschrecken. Also lachte sie und kitzelte es unter dem Kinn. Theodora lernte gerade zu lächeln, ihr ganz eigenes verhaltenes, aber offenes Lächeln, und es brach Hannah das Herz.
Im Flieger runter nach Melbourne ruhte Theodora in einer um Elkanahs breite Brust befestigten Babyschlinge, während er seine Zeilen aus Hänsel und Gretel summte.
»Beeesen, Beeesen«, sang er, und seine Brust vibrierte.
Der Flugbegleiter brachte Elkanah ein Stück Schokoladenkuchen – Sachertorte – zu seinem Glas Begrüßungssekt. Elkanah wusste es eigentlich besser, aber er konnte nicht anders, als Theodora ein Stückchen Schokoglasur in den kleinen Mund zu schieben. Ihre winzige Reptilienzunge schob sich zwischen den Lippen hervor und sie saugte die Glasur ein, die Stirn leicht gerunzelt, verwirrt von dem ungewohnten Geschmack. Sie grunzte und schnaubte ein wenig, und Elkanah pflasterte ihren kleinen Kopf mit Schokoladenküssen. Theodora weinte kein einziges Mal, weder beim Start, noch bei der Landung. Theodora weinte nie – sie wimmerte bloß.
Elkanah kam mit einem Strauß Gardenien unter dem einen und Theodora unter dem anderen Arm in Pearls Haus an (das er auch immer noch für sein Haus hielt). Pearl warf einen einzigen Blick auf Theodora und brach in Tränen aus. Pearl war erschöpft. Sie mochte aus dem Krankenhaus für über die Maßen deprimierte Menschen entlassen worden sein, aber es ging ihr noch lange nicht wieder gut. Sie hatte Grace, Annie, Bea und Elizabeth. Sie hatte außerdem eine Pflegerin, die nach ihr sah und die ebenso verzweifelt wie sie selber wirkte.
»Ich weiß einfach nicht, wie Sie das schaffen wollen«, sagte die Pflegerin. Das klang alles andere als zuversichtlich.
Elkanah streichelte Pearls weichen, dunklen Kopf, die eigenen Augen ebenfalls voller Tränen. Arme Pearl, dachte er voller Aufrichtigkeit. Aber gleichzeitig breitete sich eine brennende, schreckliche Freude in ihm aus.
»Ist schon gut, Pearl, Liebste«, murmelte er. »Ist schon gut. Hannah und ich können uns um Theodora kümmern.«
Er setzte sich ans Telefon, das Baby fest im Arm, und rief zu Hause an. Diese Neuigkeit konnte nicht auf ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht warten. Er bebte. Jetzt gehörte Theodora ihm! Ihm und Hannah! Sie würden ihr eigenes Baby haben, Hannah wäre glücklich und würde endlich wieder essen. Ihr Appetit war ja schon ein wenig besser geworden – eine Scheibe Toast zum Frühstück, einen Pfirsich zu Mittag.
»Hannah?«, sagte er.
Elkanahs Auftritt war für zwanzig Uhr angesetzt. Wenn er jetzt mit Theodora heimflog und gleich wieder kehrtmachte, wäre er immer noch rechtzeitig zurück in Melbourne.
»Kannst du dir heute freinehmen?«, fragte er.
Hannahs Herz schlug so heftig, dass sie das Gefühl hatte, es könnte ihren hageren Brustkorb sprengen.
»Oh, Elkanah«, flüsterte sie, den Telefonhörer in der Schulterbeuge, obwohl er längst aufgelegt hatte.
Elkanah behielt recht, Hannah begann wieder zu essen. Nachdem sie das Telefon aufgelegt hatte, ging sie schnurstracks in die Küche und aß eine Schüssel kalte Spaghetti, die Elkanah am Abend zuvor übrig gelassen hatte. Dann rief sie ihr Krankenhaus an und verkündete, dass sie heute Morgen nicht zur Arbeit kommen könne.
Hannah ging unter die Dusche und rieb sich von Kopf bis Fuß mit Brombeeröl ein. Sie fühlte sich großartig, menschlich, erhaben. Ein Baby! Ein Baby würde bei ihnen zu Hause sein, in ihrem dunklen, widerhallenden, leeren Zuhause. Ein kleines Mädchen. Theodora. Sie erinnerte sich an die Worte ihres Vaters. »Theodora – Gottesgeschenk.« Genau so war es. Na ja, dachte Hannah, während sie, den Kopf gesenkt und tropfnass, den Wasserhahn abdrehte, ich schätze,
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