Der Kulturinfarkt
Arbeit zelebriert.
Kunst, eigentlich das Schlachtross der Aufklärung, wird plötzlich zu ihrem Widerpart. Die frühe Aufklärung sah vor allem das Nützliche, Karl Philipp Moritz hat die Haltung erstmals formuliert: »Die herrschende Idee des nützlichen hat nach und nach das Edle und Schöne verdrängt – man betrachtet selbst die große erhabne Natur nur noch mit kameralistischen Augen und findet ihren Anblick nur interessant, in so fern man den Ertrag ihrer Produkte überrechnet.« 66 In wirtschaftlichen Krisen gewinnen solche Ansätze an Dringlichkeit und Glaubwürdigkeit. Konservatismus ist der kulturelle Versuch, in Zeiten, in denen Tradition schon verloren ist, aber noch erinnert wird, diese durch politische Intervention zu retten. Konservative stehen insofern an der Spitze des Fortschritts, sie haben aber eine eigene Vorstellung von der Richtung, in die weitergegangen werden soll. Können aus einer konservativen Gestimmtheit und aus der Opposition zur Wirtschaft kulturpolitische Herausforderungen bewältigt werden?
66 Moritz, Karl Philipp: Launen und Phantasien, hrsg. von Carl Friedrich Klischnig, Berlin 1796, S. 84.
Wir sind überzeugt, dass das Verhältnis von Kultur und Wirtschaft, vor allem mit Blick auf das Wirtschaftliche in der Kultur, sehr viel facettenreicher beschrieben werden kann als in jener von der Kulturpolitik instrumentalisierten fundamentalen Gegnerschaft. Welchen Einfluss hat öffentliche Förderung, haben öffentliche Regelungen auf Kultur und Wirtschaft, auf Kulturwirtschaft, auf das Wirtschaften in der Kultur?
»Die Wirtschaft« in Abgrenzung zum öffentlichen Sektor und dem intermediären Sektor bezeichnet einen gesellschaftlichen Bereich, in dem – meist mit der Absicht der Gewinnerzielung oder zumindest der Existenzsicherung – von Privatpersonen oder Firmen, die in privatem Eigentum stehen, Güter hergestellt und gehandelt sowie Dienste geleistet werden. Solange dieses Ziel erreicht wird, ist es gleichgültig, was hergestellt oder geleistet wird. In knappster Form wird dies von Karl Marx am Beispiel einer Handelsbeziehung gefasst: »Die vollständige Form dieses Prozesses ist daher G – W – G’, wo G’ = G + ∆G, d. h. gleich der ursprünglich vorgeschossenen Geldsumme plus einem Inkrement.« W steht hier für eine gehandelte Ware, könnte aber auch für Produktionsprozesse stehen, G für Geld. Was passiert, ist gleichgültig, solange aus dem Prozess nur mehr Geld herauskommt, als hineingesteckt wird. Wenn das Delta, der »Mehrwert« entsteht, war der Prozess erfolgreich. Nun ist kein Produzent allein, er steht immer in Konkurrenz zu anderen. Die Konkurrenz nun stülpt über die Mechanik der Gewinnerzeugung eine kulturelle Steuerung: Marxens Gleichung geht nur für Produzenten auf, die auf die kulturelle Variabilität eingehen und adäquate Produkte hervorbringen. Das ist die Innovationskraft des Marktes, die ihn zu einem treibenden Faktor der Kultur macht, weil laufend Unterschiedliches erfunden werden muss, um Mehrwert zu schaffen. Und umgekehrt erwachsen nur aus dem Mehrwert die Mittel, um laufend Neues zu gestalten. Manchmal schafft der Markt sogar Kunst. Die Unkultur, die sich genau dann breitmacht, sobald Märkte ausgeschaltet sind, konnten wir im 20. Jahrhundert mehrfach aus der Nähe beobachten.
Von dieser Logik der Wirtschaft, von der Gewinnerzeugung als Prozesszweck, grenzt Kunst sich ab – hieraus entspringt die Skepsis, die die Kulturwelt der Wirtschaft entgegenbringt. Kultur beansprucht, nicht durch materiellen Gewinn angetrieben zu sein. Der künstlerische Akt werde nicht wegen des Mehrwerts oder des Geldes vollzogen, sondern er findet seinen Sinn in sich selbst. Kulturelle Hervorbringungen bezögen sich auf andere künstlerische Akte oder Kunstwerke. Ist der Inhalt des Prozesses dem Wirtschaftsunternehmen gleichgültig, so komme es in der Kultur auf die Sache an, sie sei Zweck und Ziel des Handelns. Das ist eine Idealisierung, die mit der neuen Kulturpolitik ihren Anfang genommen hat. Das doppelte Motiv, nämlich erfolgreich zu wirtschaften und gute Kunst hervorzubringen, wurde auf den zweiten Aspekt verkürzt. Seither sind Kulturbetriebe Tendenzbetriebe. Es geht ihnen gar nicht mehr ums Geldverdienen, sondern ausschließlich um andere Ziele. Damit haben Kulturbetriebe zu Kirchen und Glaubensgemeinschaften aufgeschlossen und grenzen sich maximal von Wirtschaftsbetrieben ab.
Natürlich ist die Realität reicher an Schattierungen als solche begrifflichen
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