Todesbraeute
Prolog
Mansfield Community Hospital, Dutton, Georgia
Dreizehn Jahre zuvor
Ein Ping. Wieder war ein Fahrstuhl angekommen. Alex starrte zu Boden und wünschte sich, unsichtbar zu sein. Ein starker Parfumduft drang in ihre Nase. »Violet Drummond, jetzt komm schon. Wir müssen noch zwei Patienten besuchen. Warum bleibst du denn stehen? Oh!« Die Sprecherin zog scharf die Luft ein. Geht doch weg, dachte Alex.
»Ist das nicht... dieses Mädchen?« Das Flüstern erklang zu Alex' Linken. »Die kleine Tremaine - die überlebt hat?« Alex hielt den Blick starr auf ihre Fäuste geheftet, die in ihrem Schoß lagen. Lasst mich in Ruhe. »Ich glaube auch«, antwortete die erste Frau mit gedämpfter Stimme. »Meine Güte, sie sieht wie ihre Schwester aus. Ich habe das Bild in der Zeitung gesehen. Das gleiche Gesicht.«
»Na ja, es sind Zwillinge. Eineiige. Oder besser, waren. Möge sie in Frieden ruhen.«
Alicia. Alex schnürte es die Kehle zu, und plötzlich konnte sie nicht mehr atmen.
»Es ist eine Schande. Das hübsche kleine Ding splitterfasernackt in den Graben zu werfen. Gott allein weiß, was dieser Mann ihr angetan hat, bevor er sie tötete.« »Dreckskerl. Solchen Herumtreibern ist nicht zu trauen. Er sollte bei lebendigem Leib verbrannt werden. Angeblich hat er ... oh, du weißt schon.«
Schreie. Schreie. In ihrem Kopf schrien eine Million Stimmen. Halt dir die Ohren zu. Schließ sie aus. Aber Alex' Hände lagen reglos in ihrem Schoß. Tür zu. Mach die Tür zu. Die Tür in ihrem Geist schloss sich, und die Stimmen verstummten abrupt. Stille. Alex holte mühsam Luft. Ihr Herz raste.
»Na ja, und die da im Rollstuhl«, fuhr die Frauenstimme fort, »soll versucht haben, sich umzubringen, als sie ihre Mutter gefunden hat. Angeblich hat sie die Tabletten geschluckt, die Doc Fabares der Mutter für ihre Nerven verschrieben hat. Zum Glück hat ihre Tante sie noch rechtzeitig gefunden. Das Mädchen, nicht die Mutter.« »Das ist mir schon klar. Man steht selten wieder auf, wenn man sich in den Kopf geschossen hat.« Alex zuckte zusammen, als sei der Knall des Schusses, der in ihrem Kopf erklang, real. So laut. Ohrenbetäubend. Und das viele Blut. So viel Blut. Mama. Ich hasse dich, ich hasse dich, ich wünschte, du wärst tot. Alex kniff die Augen zu. Versuchte, die Schreie auszuschließen, aber diesmal gelang es ihr nicht. Ich hasse dich, ich hasse dich, ich wünschte, du wärst tot. Mach die Tür zu.
»Und die Tante? Wo kommt sie her?« »Delia aus der Bank meint, aus Ohio. Sie ist Kathys Schwester. Oder war es jedenfalls. Als die Frau an ihren Schalter kam, ist Delia fast das Herz stehengeblieben. Sieht genauso aus wie Kathy - einfach unheimlich.« »Wollen wir hoffen, dass diese Schwester ein bisschen mehr Anstand besitzt als Kathy Tremaine. Mit zwei halbwüchsigen Töchtern einfach zu einem Mann zu ziehen ... Das ist doch kein Vorbild für zwei junge Mädchen.« Panik stieg in ihr auf. Mach die Tür zu.
»Drei. Er hat doch auch eine Tochter. Bailey heißt sie.« »Ja, ein wilder Haufen, die drei. So etwas musste ja irgendwann passieren.«
»Wanda, bitte. Das Mädchen ist doch nicht schuld daran, dass ein Landstreicher es vergewaltigt und ermordet hat.« Wieder musste Alex um Atem ringen. Geht doch weg. Geht zur Hölle. Beide. Alle. Lasst mich doch in Ruhe beenden, was ich angefangen habe.
Wanda schnaubte. »Hast du mal gesehen, wie sich die Mädchen heutzutage anziehen? Sie betteln ja förmlich darum, dass ein Kerl sie in die Büsche zerrt und mit ihnen wer weiß was anstellt. Ich bin nur froh, dass sie von hier verschwindet.«
»Ach so? Nimmt ihre Tante sie mit nach Ohio?« »Das hat Delia jedenfalls gesagt. Es ist wirklich besser, dass sie nicht auf die Highschool zurückkehrt. Meine Enkelin geht auf dieselbe Schule, auch in die Zehnte, genau wie Alex Tremaine. Ein solches Mädchen in der Klasse ... das ist doch niemandem zuzumuten.«
»Da sagst du was«, stimmte Violet ihr zu. »Oh, sieh nur, wie spät es ist. Wir müssen noch zu Gracie und Estelle Johnson. Hol du den Fahrstuhl, Wanda. Mir fallen sonst die Blumen aus der Hand.« Wieder erklang die Glocke des ankommenden Aufzugs, und die zwei alten Damen waren fort. Das Beben in Alex' Körper ließ sich nicht unterdrücken. Kim wollte sie also mit nach Ohio nehmen. Na und? Alex kümmerte es nicht. Sie hatte nicht vor, in Ohio anzukommen. Sie wollte nur beenden, was sie begonnen hatte. »Alex?« Schritte klackerten auf den Kacheln, und sie roch ein
Weitere Kostenlose Bücher