Der Kuss der Göttin (German Edition)
Busfahrer. »Jetzt können Sie sich ausruhen.«
Gott segne Sie, Sir.
Doch auf keinen Fall hätte ich die Worte laut ausgesprochen. Wenn ich den Mund aufmache, verliere ich vollends die Fassung. Stattdessen nicke ich und versuche, mit Blicken meine Dankbarkeit zu zeigen.
Als ich meinen Rucksack absetze, lasse ich versehentlich meine Fahrkarte fallen. Meine Finger greifen ungeschickt nach dem Stück Pappe, das mir das Leben gerettet hat. Eine Ecke ist umgeknickt und ich glätte sie beinahe mit Ehrfurcht.
Um ehrlich zu sein, habe ich meine Sache nicht besonders gut gemacht. Unleserliche Buchstaben marschieren an der unteren Kante entlang, und ich glaube, das einzige Wort, das ich wirklich richtig hinbekommen habe, ist Pittsburgh . Es gibt einen Strichcode, aber als ich in der Dunkelheit blinzle, erkenne ich, dass alle Striche gleich lang und breit sind. Es hätte niemals funktioniert, wenn er hätte gescannt werden müssen.
Aber das Logo ist da und sieht ziemlich genauso aus wie in meiner Erinnerung. Mein Atem geht wieder schneller, als mir bewusst wird, wie schlecht mein Ticket gemacht ist – was für ein Glück, dass der Fahrer nicht genauer hingeschaut hat.
Hat er aber nicht.
Und deshalb lebe ich noch.
Die Türen falten sich jetzt auseinander – schließen sich – und der Fahrer zieht einen Sicherheitsgurt über seinen ausladenden Bauch. Ich schaue aus dem Fenster und sehe zwei Männer in schwarzen Hosen und Polohemden auf den Parkplatz laufen.
Los, los, los! , dränge ich stumm, und der Fahrer macht es sich bequem und beginnt, den Ganghebel aus der Parkposition zu lösen. Ich halte den Blick auf die beiden Männer gerichtet; ich weiß, sie können mich durch die getönten Scheiben nicht sehen. Sie werfen einen Blick auf den Bus, aber es lagen buchstäblich dreißig Sekunden zwischen dem Moment, als ich auf den Parkplatz rannte, und der Abfahrt des Busses.
Ich kann nicht in diesem Bus sein.
Dennoch müssen sie es befürchten.
Ein Hämmern an der Tür erschreckt mich, und ich beuge mich vor und sehe die zwei Männer dem Busfahrer Zeichen machen, er solle die Tür öffnen.
»Ich muss los!«, brüllt er.
Sie halten ihm kurz irgendeine Art glänzende Marken vor die Nase, die, da bin ich mir sicher, gefälscht sind, und der Fahrer seufzt und hält den Bus an.
Oh bitte, nein! Ich sitze in der Falle. Eine Ratte im Käfig. Nach alledem – alles, was Reese, Jay und Elizabeth für mich getan haben – werden mich die Reduciata trotzdem kriegen. Ich möchte am liebsten weinen, die Ungerechtigkeit zum Himmel schreien.
Das Leben ist nicht immer fair . Das habe ich meine Mutter wohl hundert Mal sagen hören.
Meine Mutter.
Eine verrückte Idee blitzt in meinem Kopf auf, und ich bekomme Panik, denn ich weiß, ich habe nur Sekunden.
Ich höre, wie die Tür aufgeht, presse die Augenlider zusammen und denke an meine Mutter. Nur an meine Mutter. Ihre hellbraunen Haare, die langen, molligen Arme, ihr ansteckendes Lächeln. Ich sammle all meine mentale Energie und versuche, mich an jedes Detail von ihr zu erinnern. Ihr Lächeln, ihre kurzen Finger, die Haare so lang wie meine auch einmal waren.
»Entschuldigen Sie bitte, Ma’am. Ma’am?«
Ich blicke zu dem atemlosen Mann auf, der vor nicht einmal zwei Minuten auf mich geschossen hat. Er schaut mir in die Augen, und ich bemühe mich, einen neutralen Ausdruck aufrechtzuerhalten. Seine Kiefermuskeln spannen sich und er geht kopfschüttelnd weiter.
»… nicht hier … Zeitverschwendung … Ladezone …« Sie versuchen nicht einmal, die Stimmen zu senken, als sie den Bus ohne ein Wort an den Fahrer verlassen.
Der Fahrer brummelt etwas über ihre Unhöflichkeit, aber endlich schließt sich die Tür, und ich atme auf, als der Bus von der Haltestelle rollt – und auf die Autobahn.
Ich brauche einen Spiegel.
Ich wühle in meinem Rucksack, bis ich eine Puderdose in meinem Necessaire finde. Ich öffne sie, und als der Bus unter einer orangefarbenen Straßenlaterne hindurchfährt, flutet Licht über mich. Und im Spiegel sehe ich das Gesicht meiner Mutter.
Ich keuche leise auf und strecke die Hand aus, um den Spiegel zu berühren.
Nein, ich muss mein Gesicht berühren.
Ich bin es.
Sie ist es.
Ich berühre ihre Lippen, ihre Wangen, ihre Wimpern, schaue in ihre grünen Augen. Dann lächle ich.
Und es ist ihr Lächeln.
Ein komisches Gefühl lenkt mich ab, als etwas in meiner Handfläche prickelt und ich den Blick senke und sehe, dass die Fahrkarte beginnt, sich
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