Der Landarzt (German Edition)
schöne Verwundung am Arm haben, um von der Prinzessin verbunden und verhätschelt zu werden. Wie ein Wütender stürzte ich mich auf den Feind. Ich habe kein Glück gehabt, bin heil und gesund davongekommen! Keine Prinzessin mehr, es hieß marschieren. Das ist die Geschichte...«
Sie waren bei Benassis angelangt, der sofort aufsaß und verschwand. Als der Arzt zurückkam, hatte sich die Köchin, der Genestas seinen Sohn anempfohlen, bereits Adriens bemächtigt und ihn in Monsieur Graviers berühmtem Zimmer untergebracht. Außerordentlich erstaunt war sie, als ihr Herr befahl, sie solle ein einfaches Gurtbett in seinem eigenen Zimmer für den jungen Mann herrichten; und er ordnete dies in einem so kategorischen Tone an, daß Jacquotte unmöglich den geringsten Einwand erheben konnte. Nach dem Essen machte sich der Major wieder auf den Weg nach Grenoble und war glücklich über die beruhigenden Versicherungen, die Benassis über des Kindes baldige Genesung wiederholte.
In den ersten Dezembertagen, acht Monate, nachdem er dem Arzte sein Kind anvertraut hatte, wurde Genestas zum Oberstleutnant eines in Poitiers stehenden Regimentes ernannt. Er gedachte Benassis von seiner Abreise in Kenntnis zu setzen, als er einen Brief von ihm erhielt, in welchem sein Freund ihm Adriens völlige Genesung mitteilte.
»Das Kind«, schrieb er, »ist groß und kräftig geworden, es geht ihm prachtvoll. Seit Sie ihn nicht gesehen haben, hat er sich Butifers Unterweisungen so gut zunutze gemacht, daß er ein ebenso glänzender Schütze ist wie unser Schmuggler selber. Ueberdies ist er flink und beweglich, ein guter Fußgänger und ein tüchtiger Reitersmann. Er hat sich von Grund auf geändert. Der sechzehnjährige Bursche, der unlängst keine zwölf Jahre alt zu sein schien, sieht jetzt wie ein Zwanzigjähriger aus. Sein Blick ist sicher und stolz. Er ist ein Mann, und ein Mann, an dessen Zukunft Sie jetzt denken müssen.«
Ich will Benassis ganz gewiß morgen besuchen, und seine Meinung über den Beruf hören, den ich den Burschen ergreifen lassen soll, sagte Genestas sich, als er zu dem Abschiedsmahle ging, das seine Offiziere ihm gaben; denn er sollte nur noch einige Tage in Grenoble bleiben.
Als der Oberstleutnant nach Hause kam, gab sein Bursche ihm einen Brief, den ein Bote gebracht, der lange auf Antwort gewartet hatte. Obwohl er durch die Toaste, welche die Offiziere auf ihn ausgebracht hatten, ziemlich angeheitert war, erkannte Genestas seines Sohnes Handschrift, glaubte, daß er ihn um die Befriedigung irgendeines Wunsches bäte, wie junge Leute ihn haben, und ließ den Brief auf dem Tische liegen, wo er ihn anderen Morgens, als die Champagnerdünste sich verflüchtigt hatten, wiederfand. »Mein lieber Vater!«
Ei, kleiner Schelm, sagte er sich, du schmeichelst mir ja immer, wenn du etwas haben willst!
Dann nahm er den Brief wieder vor und las folgende Worte:
»Der gute Monsieur Benassis ist tot ...«
Der Brief entfiel Genestas' Händen; erst nach einer langen Pause nahm er seine Lektüre wieder auf.
»Das Unglück hat das ganze Land in Bestürzung versetzt und uns um so mehr überrascht, als Monsieur Benassis am Abend vollkommen wohl war und keinerlei Krankheitserscheinungen zeigte. Wie wenn er sein Ende vorausgeahnt hätte, besuchte er vorgestern noch alle seine Kranken, selbst die am entferntesten wohnenden; er hat mit allen Leuten, die ihm begegneten, gesprochen und zu ihnen: ›Lebt wohl, meine Freunde‹ gesagt.
Seiner Gewohnheit nach ist er gegen fünf Uhr zurückgekommen, um mit mir zu essen. Jacquotte fand sein Gesicht ein bißchen rot und violett; da es kalt war, gab sie ihm kein Fußbad, das sie ihn gewöhnlich zu nehmen zwang, wenn sie sah, daß ihm das Blut zu Kopf gestiegen war. Auch ruft das arme Mädchen seit zwei Tagen, während sie ihre Tränen strömen läßt: ›Wenn ich ihm ein Fußbad gegeben hätte, lebte er noch!‹ Monsieur Benassis hatte Hunger, er aß tüchtig und war heiterer als gewöhnlich. Wir haben zusammen gelacht, und noch niemals hatte ich ihn lachen sehen. Nach dem Essen um sieben Uhr wollte ihn ein Mann aus Saint-Laurent-du-Pont zu einem sehr dringlichen Fall holen. Er sagte zu mir:
›Ich muß hin; indessen ist meine Verdauung noch nicht zu Ende und in solchem Zustande steige ich nicht gern zu Pferde, vor allem nicht bei kaltem Wetter; das kann einen Menschen umbringen!‹
Nichtsdestoweniger ritt er fort. Goguelat, der Landbriefträger, brachte um neun Uhr einen Brief für
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