Das leere Haus
Arthur
Conan Doyle
Das leere Haus
Originaltitel:
The Adventure of the Empty House
erschienen 1903
Übersetzer:
Alexander Wlk
Im Frühling des Jahres 1894 war das gesamte
London neugierig und die Oberschicht in der ganzen Welt
bestürzt über
den Mord am ehrenwerten Ronald Adair, der unter den
ungewöhnlichsten
und rätselhaftesten Umständen zu Tode kam. Die
Öffentlichkeit hat die
Einzelheiten der Tat, die bei den Ermittlungen der Polizei zu Tage
kamen, schon erfahren. Ein Teil wurde trotzdem geheim gehalten, da die
Beweise so erdrückend waren, daß es nicht
nötig gewesen war, alle
Fakten preiszugeben. Erst heute, nach fast zehn Jahren, darf ich die
fehlenden Glieder ergänzen, die eine überaus
bemerkenswerte Kette
bilden. Das Verbrechen war für sich genommen schon von
Interesse, aber
für mich war das gar nichts, wenn man es mit den
unfaßbaren
Folgeereignissen vergleicht, die mir den größten
Schock und
Überraschung meines abenteuerlichen Lebens bereiteten. Selbst
heute,
nach so langer Zeit, fühle ich noch die gleiche Spannung wenn
ich
zurückdenke und auch die plötzlich hereinbrechende
Freude, Erstaunen
und Ungläubigkeit, die über mich gekommen waren. Der
Öffentlichkeit,
die einiges Interesse an den Eindrücken, die ich ihr von Zeit
zu Zeit
über die Gedanken und Vorhaben eines gewissen Jemands
gewährte, will
ich sagen, daß es nicht an mir lag, daß ich mein
Wissen nicht
mitteilte. Denn ich hätte es als meine erste Pflicht
angesehen, eben
das zu tun, hätte mich ein Verbot aus seinem Munde nicht daran
gehindert, welches erst am Dritten des letzten Monats wieder aufgehoben
wurde.
Es ist nicht schwer sich vorzustellen, daß meine
Nähe zu
Sherlock Holmes mein Interesse an begangenen Verbrechen geweckt hatte
und nach seinem Verschwinden habe ich es nie versäumt, mich
über die
Probleme, mit denen die Öffentlichkeit konfrontiert wurde, zu
informieren. Ich versuchte sogar mehr als einmal für mein
privates
Vergnügen seine Lösungsmethoden anzuwenden, jedoch
ohne Erfolg. Es gab
jedoch kein Rätsel, das mich mehr ansprach, als die
Tragödie von Ronald
Adair. Als ich die Untersuchungsergebnisse las, die zu dem
Schluß
kamen, daß er von einer oder mehreren unbekannten Personen
vorsätzlich
ermordet worden war, wurde mir mehr denn je klar, welch einen Verlust
wir alle mit dem Tod von Sherlock Holmes erlitten haben. Einige Punkte
dieser seltsamen Angelegenheit hätten ihn sicher interessiert
und von
seiner Hilfe hätten die Bemühungen der Polizei sicher
von der geübten
Beobachtungsgabe und des wachen Verstandes des besten Detektivs Europas
sehr profitiert. Den ganzen Tag drehte ich den Fall in Gedanken hin und
her, aber fand keine zufriedenstellende Erklärung. Auf die
Gefahr hin
eine bekannte Geschichte noch einmal zu erzählen,
rekapituliere ich
hier die Fakten, wie sie der Öffentlichkeit damals bekannt
waren.
Der
ehrenwerte Ronald Adair war der zweite Sohn des Earl of Maynooth,
damaliger Gouverneur einer der australischen Kolonien. Adairs Mutter
kam aus Australien zurück, um sich einer Operation gegen den
grauen
Star zu unterziehen. Sie, ihr Sohn Ronald und ihre Tochter Hilda lebten
zusammen in Park Lane Nummer 427. Er verkehrte in den besten Kreisen,
hatte keine bekannten Feinde oder Laster. Er war mit Miss Edith Woodley
aus Carstairs verlobt, aber diese wurde einige Monate zuvor im
gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst und es gab keine
Anzeichen, daß
irgendwelche verletzten Gefühle zurück blieben. Des
weiteren spielte
sich sein Leben in einem kleinen und überschaubaren Umfeld ab.
Seine
Gewohnheiten waren still und seine Natur unaufdringlich. Und doch wurde
dieser unkomplizierte junge Aristokrat auf höchst unerwartete
und
rätselhafte Weise in den Stunden zwischen zehn und elf Uhr
zwanzig in
der Nacht zum 30. März 1894 vom Tode heimgesucht.
Ronald Adair
spielte gerne und oft Karten, aber nie um solch hohe Einsätze,
daß ihn
der Verlust des Geldes geschmerzt hätte. Er war Mitglied im
Baldwin, im
Cavendish und im Bagatelle Spielklub. Es stellte sich heraus,
daß er am
Tag seines Todes nach dem Dinner eine Partie Whist im letztgenannten
Klub spielte. Er war auch schon am Nachmittag dort gewesen. Die
Aussagen seiner Mitspieler – Mr. Murray, Sir John Hardy und
Colonel
Moran – ergaben, daß sie Whist spielten, und
daß das Spiel sehr
ausgeglichen verlief. Adair mochte vielleicht 5 Pfund verloren haben,
aber nicht mehr. Sein Vermögen war beträchtlich, so
daß ihm ein solcher
Verlust
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