Der leiseste Verdacht
viel wird der Hof kaum abgeworfen haben. Für eine Schaffarm könnte es vielleicht reichen, aber sie müsste schon ein Vermögen hinblättern, damit sich ein junger, attraktiver Mann mit ihr einlässt.«
»Du scheinst sie ja nicht besonders anziehend zu finden.«
»Ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn sie mich angesprochen hat.«
»Also, ich fand den Alten unausstehlich. Der hat uns doch ständig das Gefühl gegeben, wir dürften nur dank seiner großen Gnade hier wohnen. Er glaubte bestimmt, dass das Haus immer noch zum Hof gehört. Außerdem hat er mich ständig mit seinen Blicken ausgezogen.«
»Ist das wahr? Dann hoffe ich wirklich, dass er in der Jauchegrube gelandet ist.«
Katharina schien des Themas plötzlich überdrüssig zu sein, zwinkerte demonstrativ und seufzte unüberhörbar. PM strich mit seinem Zeigefinger über ihren Nasenrücken. Eine Geste, die andeutete, dass er um ihre Gemütslage besorgt war.
»Wie geht’s dir denn?«, fragte er sanft.
Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: »Die Sache scheint dich doch sehr mitgenommen zu haben. War ich zu schroff, als ich darüber geredet habe?«
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Sie zuckte mit den Schultern. »Ach, nein, ich war doch nicht anders. Mir ist die ganze Angelegenheit einfach unheimlich. Dir geht es doch sicher genauso.«
Er dachte nach. »Eigentlich geht mich die Sache ebenso wenig an, als wäre sie in Lappland passiert. Was mich eher beunruhigt, ist die Tatsache, dass wir im Moment zu einer Art Wallfahrtsort werden. Die Leute kommen von überall her, um sich den Tatort mit eigenen Augen anzusehen.«
»Heute Nacht habe ich davon geträumt.«
»Von den Schaulustigen?«
»Nein. Ich träumte … Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber es ging um den Fund der Leiche. Irgendwie hatten wir damit zu tun. Das hat einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen.«
Das Geräusch eines Automotors drang durch das eintönige Plätschern des Regens. Als sie eine Autotür schlagen hörten, zuckte sie zusammen und starrte aus dem Fenster. PM stand auf.
»Kein Grund zur Beunruhigung«, sagte er. »Ist nur Kalle Svanberg, der mir bei der Installation des Kaminofens helfen will. Lass den Abwasch einfach stehen, den mache ich später.«
Als er an ihr vorbeiging, um die Haustür zu öffnen, beugte er sich zu ihr hinunter, hob ihren schweren Zopf an und küsste sie in den Nacken. Sie beantwortete den Kuss mit einer flüchtigen, zärtlichen Geste, schien jedoch ganz in Gedanken versunken.
Es war noch eine knappe Stunde Zeit, bis sie zu ihrem Arbeitsplatz aufbrechen musste, doch obwohl sie noch jede Menge zu tun hatte, blieb sie unschlüssig sitzen und verfolgte die unberechenbare Spur der Tropfen, die über die Scheibe liefen. Aus der Diele drangen Kalles breites Schonisch und Patriks polterndes Lachen. Nach einer Weile kamen sie in die Küche. Patrik kramte in einer der Schubladen, während Katharina und Kalle sich über den Frühling unterhielten, der sich bisher von seiner besten Seite gezeigt hatte, auch wenn 26
zurzeit wenig von ihm zu spüren war. Katharina war froh, dass er kein Wort über die Leiche in der Jauchegrube verlor. Kalle hatte einen ausgeprägten Sinn für die Erfordernisse des Alltags.
Warum sollte er sich also noch mit Geschehnissen von gestern beschäftigen? Seit dem gestrigen Polizeibesuch und dem heutigen Vormittag waren in seiner Welt sicher eine Menge wichtiger Dinge geschehen, und Katharina widerstand der Versuchung, das Thema von sich aus zur Sprache zu bringen.
Die beiden Männer verschwanden fröhlich plaudernd in Richtung Atelier, und Katharina wunderte sich, dass sie weiterhin so bedrückt war. Abgesehen von dem schrecklichen Vorfall auf dem Nachbarhof war doch alles wie immer. Er sollte sie nicht länger belasten.
Eigentlich kannte sie den Grund ihrer Unruhe sehr genau, doch sie scheute sich, Patrik damit zu behelligen. Denn sie hatte nichts Konkretes in der Hand, nur düstere Vorahnungen eines bevorstehenden Unglücks. Sie kam sich albern und überspannt vor. Vermutlich hatte es mit ihrem Traum zu tun, aber nicht nur damit. Die Vorahnungen hatten sie schon gestern Abend beschlichen. Etwas Bedrohliches schien sich anzubahnen.
Aber das konnte sie Patrik nicht sagen. Der hatte von ihren bösen Ahnungen sicher genug. Nicht dass sie ständig welche hätte, aber das Thema war heikel. Schon einmal hatte sie so ein komisches Gefühl gehabt, und Patrik hatte davon nichts wissen wollen, was an und für sich verständlich gewesen war.
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