145 - Jagd auf den Zeitkristall
Condanos Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. Triumphierend betrachtete er den Kristall, der im Kerzenlicht blitzte und funkelte wie ein zehntausendkarätiger Diamant. Aber dieser Kristall war noch viel mehr wert.
Er war unbezahlbar. Wer ihn besaß und ihn darüber hinaus zu kontrollieren vermochte, der besaß die absolute Macht. Denn mit diesem Kristall ließ sich die Zeit beherrschen. Er ermöglichte einen Übergang in die Vergangenheit…
Condano grinste.
„Nein", murmelte er. „Nein. Ihr werdet euch wundern. Ihr glaubt, ich sei nur ein Werkzeug. Glaubt das nur weiter… diesmal unterschätzt ihr mich. Ich habe die Macht. Ich allein…" Und er warf den Kopf zurück in den Nacken und lachte triumphierend. Allmählich ging sein Lachen in Kichern über, in ein wahnwitziges, nervtötendes Kichern.
Und in Condanos Augen flackerte der Wahnsinn.
„Es ist wieder soweit", sagte Vittorio Zardoni. „Wenn man es nur berechnen könnte! Dann könnten wir ihn besser überwachen. Ich bin sicher, daß er etwas ausheckt. Er will - uns übertölpeln."
Das Oberhaupt der Zardoni-Sippe ballte die Fäuste.
„Setze ihm eine Frist", verlangte Rico, sein Sohn. „Gib ihm noch zwölf Stunden Zeit. Dann muß der Kristall fertig sein und uns übergeben werden. Für ihn kann das doch keine Schwierigkeit sein! Vor zweihundert Jahren hat er es doch auch gekonnt."
„Und wurde deshalb aus dem Weg geräumt", sagte Micaela Zardoni. „Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich mich nicht vor dieser Macht fürchte. Die Zeit beherrschen, die Zeit verhindern… das kann schief gehen. Wir verändern doch damit alles!"
„Was kann uns Besseres passieren?" fragte Vittorio, der Alte, spöttisch. „Wir wollen doch alles verändern! Wir wollen Luguri von der Weltbühne fegen! Wir wollen den Tod des Asmodi verhindern."
„Und wenn die Veränderungen zu unserem Nachteil sind?" fragte Rico, der Vorsichtige.
„Ich habe sehr lange und eingehend nachgedacht", wischte Vittorio seinen Einwand beiseite. „Und ich bin zum Entschluß gekommen, daß wir es tun. Wir haben den ersten Schritt getan, wir werden nun auch den zweiten tun. Bist du sicher, daß es dir gelingt?"
Sein Blick fiel auf das Mädchen, das bisher geschwiegen hatte. Eine junge Schönheit mit schockroten Haaren. Die Dämonin hatte im Hintergrund gesessen, still gelächelt und gelauscht, ohne sich an dem Streitgespräch zu beteiligen. Wozu auch? Der Sippenchef herrschte wie ein Despot. Er ließ zwar andere ihre Meinungen äußern, aber er entschied dennoch allein, was getan wurde.
Angelina erwiderte Vittorios Blick. „Sonst wäre ich nicht hier", sagte sie selbstbewußt und kühl. „Ich bin für das Ultimatum. Je länger wir zögern, desto eher können uns andere auf die Schliche kommen. Und wenn Luguri selbst davon erfährt, wird er uns vom Erdboden hinwegfegen. Er wird uns zu Freaks machen."
Vittorio lehnte sich zurück.
„Condano allein weiß, wieviel Zeit er für den Kristall benötigt. Das Werk muß fehlerfrei sein.
Schon der geringste Fehler kann das Unternehmen zum Scheitern bringen."
„Fehler wie jener, eine abtrünnige Hexe bei der Erweckung einzusetzen", sagte Angelina nüchtern. „Dadurch verfällt Condano zeitweise dem Wahnsinn."
„Daran glaube ich nicht", fauchte Vittorio. „Hüte deine Zunge, Angelina!" Er hatte es nicht gern, wenn ihm jemand Fehler nachwies. Schon gar nicht unter Zeugen.
„Es hängt mit dem Erscheinen des Halleyschen Kometen zusammen", vermutete der Sippenchef grimmig. „Dadurch wurde die Erweckung beeinflußt, und dadurch können Teile von Condanos Gehirn beschädigt sein. Immerhin ist er häufig genug normal, daß wir uns ihm nähern und mit ihm reden können."
Vor rund zweihundert Jahren hatte der Magier Condano gelebt. Er war nebenbei Glasbläser auf der Venedig vorgelagerten Insel Murano gewesen, und er besaß die unglaubliche Fähigkeit, Zeitkristalle zu formen. Kristalle, die Reisen in die Vergangenheit ermöglichten, aber nicht nur Reisen allein, sondern auch eine Veränderung der Vergangenheit! Wie er das bewerkstelligte, war sein alleiniges Geheimnis, das er niemandem verriet. Nicht einmal unter Zwang hatte man es ihm damals entreißen können. Und so hatten die Dämonen ihn auf Geheiß des Fürsten der Finsternis getötet. Denn sie fürchteten, durch eine Veränderung der Vergangenheit einfach ausgelöscht zu werden. Es reichte schon, zwei oder drei Generationen zurückzugehen und einen Stammvater auszutilgen. Im
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