Der leiseste Verdacht
sie sich davor gehütet, »Ich hab’s doch gewusst!«
auszurufen, obwohl ihr die Worte auf der Zunge gelegen hatten.
Aber damals hatte es sich um etwas gehandelt, das sie beide im höchsten Grad persönlich betraf. Jetzt gab es für ihre Unruhe keinen vernünftigen Grund. Was war geschehen? Eine Leiche war auf dem Nachbargrundstück gefunden worden. Und weiter?
Patrik hatte Recht, die Sache ging sie nichts an. Nicht mehr zumindest als jeder andere Mord, und Morde waren auf dieser Welt an der Tagesordnung. Natürlich war dieser ganz in ihrer 27
Nähe geschehen. Sie war an der Jauchegrube doch ständig vorbeigegangen, manchmal ihren Gestank verfluchend, ohne zu ahnen, dass dort seit Monaten eine Leiche vor sich hin moderte.
Warum musste dies nur ausgerechnet zu einem Zeitpunkt geschehen, an dem sie eine ihrer schwersten Ehekrisen der vergangenen achtzehn Jahre endlich überwunden zu haben glaubten? Sie blickten wieder hoffnungsvoller in die Zukunft.
Patrik, dessen Schwermut nicht völlig verschwunden, aber doch bedeutend abgeschwächt war, hatte seine Arbeitsfreude wiedergefunden. Die lange vermisste Leichtigkeit des Daseins schien zurückzukehren …
Sie streckte sich gähnend und schlug entschlossen mit der Hand auf die Tischplatte. Warum den Teufel an die Wand malen? Es war mitten am Vormittag, gleich würde sie zur Arbeit fahren. Noch gestern war sie voller Optimismus gewesen.
Warum zog sie sich nicht endlich an, statt unentwegt den ewigen Regen anzustarren? Ihr bisheriges Leben mit PM unter akzeptablen Umständen weiterzuführen, war alles, was sie wollte. Und sie konnten jetzt keine störenden Einflüsse von außen gebrauchen.
Sein Lachen drang aus dem Atelier durch mehrere Wände zu ihr. Sie liebte dieses ungehemmte Lachen, hatte es immer getan
…
Plötzlich musste sie lächeln. Nächsten Sommer konnten sie ein großes Jubiläum feiern. Vor genau zwanzig Jahren hatten sie sich bei einer Mittsommernachtsfeier kennen gelernt. Obwohl es, was die Details betraf, unterschiedliche Meinungen gab. Sie hatten sich nie darauf einigen können, wann sie sich zum ersten Mal gesehen hatten. Beide erklärten mit Nachdruck, der andere würde sich irren. In Anbetracht der Tatsache, dass sie sich inmitten einer riesigen Menschenmenge befunden hatten, war diese Uneinigkeit vielleicht auch nicht so verwunderlich.
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Zumindest wusste sie mit Sicherheit, dass sie sich 1975
während des legendären Mittsommerfests auf der Insel Djurö erstmals begegnet waren. Ein Fest unter freiem Himmel, das am Vormittag begonnen und am nächsten Vormittag geendet hatte.
Es war eine dieser Massenveranstaltungen gewesen, bei denen man immer nur einen Bruchteil der Gäste kennt. Speisen und Getränke waren von behandschuhten Kellnern serviert worden, die im Stil der Jahrhundertwende gekleidet waren. Es war ein verschwenderisches Fest mit einer Reihe prominenter Gäste gewesen. Vor Katharinas unerfahrenen und naiven Augen hatte sich die Elite des schwedischen Kulturlebens um die luxuriösen Tafeln versammelt.
Die Gästeschar teilte sich nach einiger Zeit zwangsläufig in kleinere Gruppen auf, doch Katharina hatte leider zu keiner von ihnen Anschluss gefunden. Nicht einmal ihre spendablen Gastgeber kannte sie persönlich, und die bekannten Gesichter waren rasch gezählt. Sie hatte Jan auf das Fest begleitet, der, gewissen Zweifeln zum Trotz, als ihr Zukünftiger galt. Die Zweifel bestanden auf beiden Seiten. Jedenfalls war er rasch in der Menge verschwunden. Um ihre Einsamkeit zu überspielen, hatte sie eine Zeit lang erfolglos versucht, sich einer angeheiterten Gruppe nach der anderen anzuschließen. Sie wollte bereits nach Hause fahren und verfluchte den treulosen Jan, der sie so schmählich im Stich gelassen hatte. Doch war sie zu dieser Zeit erst dreiundzwanzig Jahre alt und glaubte aufrichtig, sich in der aufregenden großen Welt zu bewegen, dort, wo das Kulturleben mit großem K stattfand. Den Tränen nahe, hielt sie tapfer durch, bis Patrik kam und sie rettete.
Obwohl sie damals noch nicht wusste, dass er Patrik hieß, weil er vergessen hatte, sich vorzustellen. Jedenfalls erschien damals ein bärtiger, ziemlich angetrunkener Mann auf der Bildfläche und legte den Arm um ihre Schultern. Er zog sie auf eine der Bänke, die um die Tische standen, und gab ihr einen fürchterlich starken Schnaps zu trinken. Obwohl seine Artikulation zu 29
wünschen übrig ließ, hielt er ihr einen kleinen amüsanten Vortrag über die Kunst, große
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