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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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machen Sie hier?«
    Er hatte die Frage befürchtet. Falls Washington wußte, daß er suspendiert war, würde das Eingeständnis, daß er eine alte Akte einsehen wollte, bedeuten, daß er die Bestimmungen seiner Zwangsbeurlaubung verletzte. Andererseits bewies Washingtons Posten in der Flugabteilung, daß er selbst manchmal aus der Reihe tanzte. Bosch beschloß, es zu riskieren.
    »Ich seh’ mir hier eine alte Akte an. Ich hatte gerade etwas Zeit und dachte, ich überprüf’ mal ein paar Punkte.«
    Washington zog die Augen zusammen, und Bosch wußte, daß er wußte.
    »Ja … also, ich muß jetzt los. Verlieren Sie nicht den Mut. Und lassen Sie sich nicht von den Paragraphenreitern unterkriegen.«
    Er zwinkerte Bosch zu und ging weiter.
    »Werd’ mich bemühen, Captain. Sie auch nicht.«
    Bosch war sich ziemlich sicher, daß Washington niemandem von dem Zusammentreffen erzählen würde. Er trat auf seine Zigarette und ging wieder hinein an den Schalter – insgeheim auf sich fluchend, daß er nach draußen gegangen war und sich gezeigt hatte. Fünf Minuten später hörte er ein quietschendes Geräusch aus einem der Regalgänge, und im nächsten Moment erschien Geneva Beaupre, einen Wagen mit einem blauen Ringbuch vor sich schiebend.
    Es war das Mordbuch. Es war mindestens fünf Zentimeter dick, staubig und wurde von einem Gummiband zusammengehalten, in dem eine grüne, alte Leihkarte steckte.
    »Gefunden.«
    In ihrer Stimme klang Triumph mit. Es war vermutlich die Krönung ihres Arbeitstages, schätzte Bosch.
    »Großartig.«
    Sie ließ das schwere Ringbuch auf den Schalter fallen.
    »Marjorie Lowe. Mord, 1961. Nun …« Sie zog die Karte aus dem Gummiband und sah sie an. »Ja, Sie waren der letzte, der es ausgeliehen hat. Ah, das war vor fünf Jahren. Damals waren Sie bei Raub-Mord …«
    »Stimmt. Und jetzt bin ich in Hollywood. Muß ich die Karte unterschreiben?«
    Sie legte sie vor ihm hin.
    »Ja. Schreiben Sie bitte Ihre Dienstnummer daneben.«
    Er tat schnell, wie ihm geheißen, und merkte, daß sie ihn beim Schreiben musterte.
    »Linkshänder.«
    »Ja.«
    Er schob ihr die Karte auf dem Schalter zurück.
    »Danke, Geneva.«
    Er sah sie an und wollte noch etwas sagen, entschied aber, daß es ein Fehler sein könnte. Sie erwiderte seinen Blick, und ein großmütterliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
    »Ich weiß nicht, was Sie tun, Detective Bosch, aber ich wünsche Ihnen viel Glück. Ich kann mir denken, daß es wichtig ist, da Sie nach fünf Jahren wieder darauf zurückkommen.«
    »Es ist noch viel länger her, Geneva. Viel länger.«

5
    B osch räumte alte Post sowie seine Handwerksbücher vom Eßtisch und legte das Ringbuch und sein Notizheft darauf. Dann ging er zur Stereoanlage und schob ›Clifford Brown with Strings‹ in den CD-Spieler. Schließlich holte er sich aus der Küche einen Aschenbecher und setzte sich vor das blaue Mordbuch. Er betrachtete es lange, ohne sich zu rühren. Beim letztenmal hatte er sich die Akte kaum ernsthaft angesehen, während er die vielen Seiten überflog. Damals war er noch nicht bereit gewesen und hatte sie zum Archiv zurückgebracht.
    Dieses Mal wollte er sich sicher sein, daß er der Sache gewachsen war, bevor er das Ringbuch aufschlug. Also saß er lange Zeit da und studierte den rissigen Plastikeinband, als suche er nach einem Zeichen, daß der richtige Zeitpunkt gekommen war. Eine Erinnerung stieg in ihm auf. Ein Junge von elf Jahren, der sich an die Stahlleiter am Rande eines Schwimmbeckens klammerte, nach Atem ringend und weinend, seine Tränen getarnt durch das Wasser, das aus seinem nassen Haar tropfte. Der Junge hatte Angst gehabt. Er fühlte sich allein auf der Welt. Das Schwimmbecken war ihm wie ein Ozean erschienen, den er überqueren mußte.
    ›Willow Weep for Me‹ erklang. Brownies Trompete skizzierte behutsam die traurige Melodie. Bosch griff nach dem Gummiband, das er vor fünf Jahren um das Ringbuch gezogen hatte – es riß unter seiner Berührung. Er zögerte nur noch einen kurzen Moment, bevor er das Mordbuch aufschlug und den Staub wegpustete.
    Der Ringhefter enthielt die Akten zu dem am 28. Oktober 1961 geschehenen Mord an Marjorie Phillips Lowe, seiner Mutter.
    Nach all den Jahren waren die Seiten vergilbt und steif. Beim ersten Durchlesen stellte er fest, wie wenig sich in fast fünfunddreißig Jahren geändert hatte. Viele der Ermittlungsformulare im Ringbuch wurden immer noch verwendet. Der ›Vorläufige Bericht‹ und die

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