Flammen des Himmels
Erster Teil
Der Bluthund des Papstes
1.
E ben war es noch angenehm warm gewesen, aber mit einem Mal streifte Frauke ein eisiger Windstoß, der ihr wie ein Bote nahenden Unheils erschien. Sie fröstelte mehr aus Angst denn vor Kälte. Sofort schalt sie sich. Sei doch keine Närrin! Alles ist gut, in dieser Stadt sind wir in Sicherheit. Noch während sie sich selbst Mut zusprach, bemerkte sie, wie die Menschen um sie herum sich dem Stadttor zuwandten und zu tuscheln begannen.
Als sie sich ebenfalls umdrehte, sah sie sechs bewaffnete Vorreiter durch den Torbogen kommen, die auf einen Herrn von Stand hindeuteten. Ihnen folgten zwei Mönche auf Mauleseln, deren Fell so braun war wie die Kutten ihrer Reiter. Es vergingen einige Augenblicke, bis der nächste Reiter erschien. Dieser war mit einem Mittelding zwischen Kutte und Talar bekleidet und trug eine Art Barett auf dem Kopf. Seine Kleidung einschließlich der Stiefel war so dunkel wie eine Neumondnacht unter einem bedeckten Himmel, und sein schwarzes Maultier wies nicht einen hellen Fleck auf.
Im ersten Augenblick wirkte der Mann auf Frauke wie einer der apokalyptischen Reiter, und sie hätte sich nicht gewundert, wenn auch sein Gesicht von der Farbe der Nacht gewesen wäre. Stattdessen war es so bleich, als meide der Mann die Strahlen der Sonne.
Frauke erstarrte bis ins Mark, obwohl sie nicht wusste, wer dieser Fremde sein mochte, der die Menschen am Straßenrand musterte, als wolle er sie mit seinen Blicken durchbohren. Seine Augen richteten sich für den Zeitraum einiger Herzschläge auf sie, anders als die übrigen Frauen und Mädchen blieb sie jedoch kerzengerade stehen und knickste nicht. Erst als seine kalte Miene deutlichen Unmut zeigte, beugte auch sie das Knie.
»Weißt du, wer das ist?«, fragte eine junge Frau den Jüngling neben ihr.
Frauke verzog das Gesicht, als sie die Stimme von Gerlind Sterken vernahm, der Tochter des zweiten Bürgermeisters. Diese hielt sich für das schönste Mädchen von Stillenbeck und musste doch immer wieder hören, dass Silke Hinrichs noch schöner sei als sie. Dabei war Schönheit das Letzte, was Silke sich wünschte. Ebenso wie Frauke hätte sich auch ihre Schwester liebend gerne mit einem schlichteren Aussehen begnügt, wenn sie dafür nicht mehr von Gerlind Sterkens Neid und Hass verfolgt worden wäre.
Trotz ihrer Abneigung trat Frauke einen Schritt auf die Bürgermeisterstochter zu, damit ihr die Antwort ihres Begleiters nicht entging. Dieser war, wie sie wusste, ein Bewerber um Gerlinds Hand, der auf die reiche Mitgift hoffte, welche Thaddäus Sterken seiner Tochter in die Ehe mitgeben konnte.
Der junge Mann lachte. »Das ist der höchst ehrwürdige Inquisitor Jacobus von Gerwardsborn, dessen Aufgabe es ist, die Ketzer im Reich aufzuspüren und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«
Das klang nicht danach, als würde er den schwarzgekleideten Kirchenmann ernst nehmen. Gerlind Sterken achtete jedoch nicht auf die ablehnende Miene ihres Begleiters, sondern streifte Frauke mit einem verächtlichen Blick und rief laut: »Dann soll er doch gleich mit der hier und ihrer Schwester anfangen. Die halten es doch mit diesem Wiedertäufergesindel!«
Zu Fraukes Entsetzen zügelte Gerwardsborn sein Maultier, drehte sich um und sah, wie Gerlind auf sie zeigte. Fast schien es ihr, als wolle er sie ansprechen, doch dann besann er sich anders und ritt weiter in die Richtung des Dominikanerklosters, in dem er wohl Quartier zu nehmen gedachte.
Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, mahnte Frauke sich, in Zukunft besser achtzugeben. Bisher war es ihrer Familie gelungen, den Anschein aufrechtzuerhalten, der alten Kirche anzugehören, und sie hatten sich nur heimlich mit ihren Brüdern und Schwestern im Glauben versammelt. Dennoch schien etwas durchgesickert zu sein. Oder war Gerlinds Äußerung nur die gehässige Bemerkung eines neidischen Mädchens, mit der sie, ohne es zu wissen, der Wahrheit nahegekommen war?
Schatten fielen auf Frauke und machten sie darauf aufmerksam, dass dem Inquisitor weitere Reiter folgten. Es schienen Junker und reiche Bürgersöhne zu sein, die dem Kirchenmann das Geleit gaben. Die meisten sahen hochmütig über die versammelte Menge hinweg, nur ein junger Bursche mit fast weißblonden Haaren, der kaum älter sein konnte als sie selbst, musterte die Menschen am Wegesrand, als wolle er sie kennenlernen. Wegen seines hübschen, bartlosen Gesichts hatte Frauke ihn im ersten Augenblick für
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