Der letzte Coyote
Sonnenlicht schillern.
Oben stand die Wohnungstür offen, aber die Fliegengittertür war zu. Bosch klopfte.
»Kommen Sie rein. Es ist offen.«
Es war ihre Stimme. Bosch stieß das Fliegengitter auf und trat ins Wohnzimmer. Sie war nicht dort. Das erste, was er bemerkte, war ein Gemälde, da, wo vorher nur ein Nagel gewesen war. Es war das Porträt eines Mannes im Schatten. Er saß allein an einem Tisch und stützte einen Ellbogen auf. Die Hand, die an der Wange lag, verdeckte das Gesicht und lenkte die Aufmerksamkeit auf die tiefliegenden Augen. Bosch starrte das Bild einen Moment an, bevor sie wieder nach ihm rief.
»Hallo? Ich bin hier.«
Er sah, daß die Tür zu ihrem Studio einen Spalt offenstand. Er ging hinüber und drückte sie auf. Sie stand vor der Staffelei. Auf ihrer Palette waren dunkle Erdtöne. Auf ihrer rechten Wange hatte sie einen Strich Ockerfarbe. Sie lächelte sofort.
»Harry!«
»Hallo, Jasmine.«
Er trat näher und ging um die Staffelei herum. Das Porträt war noch im Anfangsstadium. Sie hatte mit den Augen begonnen. Es waren die gleichen Augen wie auf dem Gemälde im Wohnzimmer. Die gleichen Augen, die er im Spiegel sah.
Sie ging zögernd auf ihn zu. Sie schien nicht im geringsten verlegen oder unsicher zu sein.
»Ich dachte, wenn ich dich male, würdest du zurückkommen.«
Sie stellte ihren Pinsel in eine alte Kaffeedose, die an der Staffelei befestigt war, und kam noch näher. Sie umarmte ihn, und sie küßten sich zärtlich. Zuerst hielten sie sich behutsam und vorsichtig, dann legte er seine Hand auf ihren Rücken und preßte sie an sich, als könnte sie seine blutenden Wunden stillen. Nach einer Weile befreite sie sich und hielt sein Gesicht in ihren Händen.
»Laß mich sehen, ob ich die Augen richtig hinbekommen habe.«
Sie nahm seine Sonnenbrille ab. Er lächelte. Die Blutergüsse waren fast verschwunden, aber seine Augen hatten immer noch rote Ränder und waren blutunterlaufen.
»O Gott. Du hast die Nacht durchgemacht!«
»Es ist eine lange Geschichte. Ich erzähl’ sie dir später.«
»Setz sie bloß wieder auf.«
Sie setzte ihm die Sonnenbrille auf die Nase und lachte.
»So lustig ist es auch wieder nicht. Es hat weh getan.«
»Nicht deswegen. Ich hab’ Farbe auf dein Gesicht geschmiert.«
»Ich bin nicht der einzige mit Farbe im Gesicht.«
Mit dem Finger fuhr er über den Farbstrich auf ihrer Wange. Sie umarmten sich wieder. Bosch wußte, sie würden später reden. Im Moment aber hielt er sie nur in den Armen, sog ihren Duft ein und sah über ihre Schulter auf die Bucht, die blau in der Sonne glänzte. Ihm fiel etwas ein, was der alte Mann gesagt hatte. ›Wenn du eine Frau findest, die zu dir paßt, dann halt sie fest.‹ Bosch wußte nicht, ob sie diejenige war, aber er hielt sie fest, mit all seiner Kraft.
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