Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
Roncevaux besaß. Deshalb hatte er die Anlage auch nicht schleifen lassen – wie es im Frankenreich für alle befestigten Güter üblich war, zu deren Bau der König nicht ausdrücklich seine Erlaubnis gegeben hatte –, sondern Comes Sanche im Gegenteil ermuntert, sie auszubauen. Seine Vormundschaft für Arima sicherte ihm Sanches niemals wankende Loyalität. Auch Arima wusste sich Karl zu tiefem Dank verpflichtet. Dass er sie nach dem Tod ihres Vaters, anders als es bei den Franken Brauch war, nicht ihrem Zuhause entrissen und zu sich an den Königshof geholt hatte, vergalt sie ihm nicht nur mit herzlicher Zuneigung, sondern auch mit aufrechter Integrität. Abgesehen von den Paladinen gab es im ganzen Frankenreich vermutlich niemanden, der dem König loyaler gesinnt war als Arima Garcez de Roncevaux.
Dass ihre Treue sich dahingehend äußerte, dass sie zwischen den Interessen der Mauren, der Gascogner und der Franken strikte Neutralität wahrte, durchschauten nicht viele am Königshof. Karl verstand es jedoch, dessen war sich Arima sicher. Indem sie Roncevaux nicht unter die militärische Befehlsgewalt der Franken stellte, sicherte sie Karl den Frieden im Süden seines Reichs, weil die Burg damit für die Mauren keine Bedrohung darstellte. Und indem sie sich so verhielt, verdammte sie sich zugleich zur Ehelosigkeit, weil es keinen Mann von Rang gab, der nicht auf irgendeiner Seite stand. Dies war ihr eigentliches Opfer dafür, dass Karl ihre Familie damals geschont und ihr gegenüber wie ein zweiter, wenn auch ferner Vater gewesen war – die Einsamkeit im Jungfernbett. Es gab nicht wenige Nächte, in denen sie schlaflos dem Schnarchen ihrer Magd auf dem Lager neben ihr lauschte und sich bitter wünschte, das Schnarchen käme von einem Ehemann, in dessen Arm sie beseelt und leichten Herzens einschlafen konnte.
Leider war Adalric mittlerweile den wortreichen Franken an seiner anderen Seite losgeworden und wanzte sich erneut heran.
»Trink, Herrin von Roncevaux«, sagte er und hielt ihr den Becher hin. Arima, die sich schwor, Adalric in der nächsten Fingerschale zu ertränken, wenn er sie noch ein einziges Mal in diesem selbstgefälligen Tonfall »Herrin« nannte, nippte. Adalric zwinkerte ihr zu und drehte den Becher dann demonstrativ so, dass er von der Stelle trinken konnte, an der sie zuvor ihre Lippen gehabt hatte. Arimas Miene hätte einen Kessel kochendes Wasser in Eis verwandelt. Doch Adalric war gegen solche mimischen Feinheiten offenkundig immun. Er strahlte Arima an.
»Weißt du eigentlich, dass ich Tag und Nacht …«, hob er erneut an. Er wurde jedoch jäh unterbrochen, als plötzlich einer der Waffenknechte, die die Vorausdelegation von jenseits der Berge hierher begleitet hatte, hereinkam und zu einem der maurischen Adligen schritt. Er flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Maure nickte, stand auf und machte Anstalten, sich von der Tafel zu entfernen.
Arima sprang auf. »Halt!«, rief sie, so laut sie konnte.
Der Lärm im Saal erstarb. Aus dem Augenwinkel erkannte Arima, dass sie beim Aufspringen Adalric angerempelt hatte. Der Kelch in dessen Hand war nun leer, dafür tropfte der Gascogner vom Kopf bis zum Schoß. Er gaffte sie genauso überrascht an wie alle anderen.
»Hat dieser Mann eine Botschaft überbracht?«, rief Arima und deutete auf den Waffenknecht.
Der Maure, der aufgestanden war, sagte: »Ja …«, und nach einem winzigen Zögern: »… Herrin.«
»Wenn am Hof des Wali von Medina Barshaluna ein Bote hereinkommt, wem überbringt er dann die Nachricht als Erstem?«
Die Blicke der gesamten maurischen Delegation gingen zwischen Arima und dem Mauren hin und her. Einige der Franken ließen die Hände unauffällig von der Tischplatte gleiten, damit sie näher an den Messern waren, die in ihren Gürteln staken. Es war noch immer still im Saal.
»Dem Wali, Herrin«, sagte der Maure.
»Warum hat der Mann hier sie dann dir und nicht mir, der Hausherrin, überbracht?«
Der Maure zögerte erneut. Die Vorausdelegation hatte nur den Auftrag gehabt, die Ankunft der eigentlichen Gesandtschaft des Wali von Medina Barshaluna auf Burg Roncevaux vorzubereiten. Man konnte keinen großen diplomatischen Schliff von ihr erwarten. Aber offensichtlich hatte Wali Suleiman Ibn Al-Arabi, der Statthalter des Emirs von Qurtuba in Medina Barshaluna, selbst die Vorausdelegation sorgfältig zusammengestellt. Von dieser Mission hing für alle Seiten sehr viel ab.
Der Maure verneigte sich. »Verzeiht mir,
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