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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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schien, dass er ihr zumeist Alltägliches mitgeteilt hatte, etwa welche Auftritte er absolviert, welche Probleme es bei den Veranstaltungen gegeben hatte, wen er getroffen oder gesprochen hatte. Manchmal hatte er wohl auch von mir geschrieben. Einmal hieß es: » Ich freue mich für Dich, dass Deine Tochter ein so aufgewecktes Mädchen ist. Wenn sie so viel Interesse an Deinen Geschichten zeigt, wird sie möglicherweise einmal etwas in dieser Richtung beruflich machen. Ich habe gerade einen ausgesprochen interessanten Mann kennen gelernt, der Innenarchitektur studiert. Nein, nein, mein Liebster, kein frisch geschlüpfter Student mit Eierschalen hinter den Ohren. Er ist zwar zwei Jahre jünger als ich, hat aber schon einiges hinter sich und führt nebenbei einen schwunghaften Antiquitätenhandel.
Du weißt, ich will mein Esszimmer im englischen Stil einrichten, und er ist mir sehr behilflich dabei. Er hat ein Talent, die Geschichte mancher Stücke zu erzählen, dass man fast meint, sie seien ihm persönlich ans Herz gewachsen. Ich könnte mir vorstellen, Deine Tochter könnte ebenfalls Gefallen an einer Beschäftigung mit solchen Dingen finden .«
    Tja, das hatte sie vor siebzehn Jahren geschrieben, als ich zwölf war. Dann gab es, ein Jahr später, einmal einen einzigen Hinweis auf ihre Beziehung zueinander. » Du wirst mir hoffentlich Glück wünschen, ich werde heiraten. Die kleine Affäre mit dem Innenarchitekten war zwar heftig, endete aber beinahe schmerzlos für beide Seiten. Er ist zu tief verbandelt mit seinem Geschäft und ich zu sehr mit meinem Beruf. Dass ich jetzt doch noch heirate, hat überwiegend Vernunftgründe. Wir verstehen uns auf die freundschaftlichste Art und Weise, und das ist mehr als Dich und Deine Frau miteinander verbindet. Entschuldige, ich bin bitter... Ich kann es trotz all der Zeit, die vergangen ist, noch immer nicht ganz fassen, warum Du Dich derart tyrannisieren lässt .«
    Offensichtlich hatte Julian ihr eine Erklärung dafür gegeben, denn im nächsten Brief hieß es: » Ja, ich verstehe, Du wolltest Deine Tochter ihr nicht alleine überlassen und bist daher diese Ehe eingegangen. Mit der Mutter Deiner anderen Tochter wärst Du vermutlich besser gefahren. Mit mir auch... Aber es ist ja nun gleichgültig, ich bin verheiratet und glücklich. Oder – zumindest zufrieden. «
    Interessant, von Rose hatte Julian ihr also auch berichtet. Langsam schien es mir, als sei diese Frau seine wahre Vertraute gewesen, mit der er sich über allerlei ausgetauscht hatte, worüber er mit anderen nicht sprechen konnte. Doch sie schienen sich in all den Jahren nicht getroffen zu haben, es war eine reine Brieffreundschaft,
die sie pflegten. Ich fand Äußerungen, wie befriedigt Julian über meinen und auch Roses Schulabschluss war, wie glücklich es ihn machte, mich tatsächlich Kunstgeschichte studieren zu sehen, und dass er die Ausbildung meiner Schwester aufmerksam verfolgte. Über meine Promotion schien er geradezu vor Stolz zu bersten, und Roses zunehmende künstlerische Selbständigkeit entzückte ihn. Irgendwie hatte wohl die unbekannte Schreiberin auch für Rose Fäden gezogen und ihr über Dritte Aufträge verschafft. Dann aber gab es schließlich einen Brief voller Trauer. » Mein Mann ist gestorben. Nicht unerwartet, natürlich. Du weißt ja, er hat sein Schicksal akzeptiert, sein Haus gerichtet und seinen Frieden gemacht. Trotz allem tut es so weh. Mir wird täglich bewusst, wie sehr er Teil meines Lebens war, ein so guter Freund .«
    Julian musste ihr einen wirksamen Trost gespendet haben, sie bedankte sich einige Wochen später.
    » Es ist wundervoll, Julian. Das ›Lied‹ ist das Beste, was Du je gemacht hast, mein Liebster. Doch Deine Worte klingen schicksalhaft. Was meinst Du damit, Du habest das Gefühl, die Kreise schlössen sich? Ich weiß ja, Du hast Dich in der letzten Zeit viel mit den Fragen über den Sinn des Lebens und dem Tod befasst. Wirst Du nicht ein klein wenig morbid in Deiner Lebenseinstellung? Diese Idee, auch Deine Zeit sei abgelaufen, will mir nicht gefallen .«
    Entsetzt sah ich auf das Datum. Es war ein Schreiben vom Juni des vergangenen Jahres. Und der letzte Brief, den ich nun auseinander faltete, stammte aus der Woche vor Julians Tod.
    » Mein Liebster, ich werde gegen alle unsere Vereinbarungen verstoßen. Deine Worte machen mich bedrückter, als Du Dir vorstellen kannst. Ich habe im vergangenen Jahr meinen Mann verloren, Dich will ich nicht
auch noch

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