Der Lilienring
ich schon mal in meine Tasche. Dann durchsuchte ich systematisch die Ordner, die in einem Schrank standen. Schön zu wissen, dass hier die Steuererklärungen der vergangenen fünfzehn Jahre ordentlich aufgereiht waren. Auch die Pläne des Hauses, Wasser-, Strom- und Telefonrechnungen, Verträge über Aufnahmen, Auftritte und mit anderen Musikern, Schriftverkehr mit dem Agenten, den Tonstudios und Veranstaltern. Aber nichts, was weiter als in die siebziger Jahre hinein reichte. Auch der Schreibtisch selbst bot nichts. Das war seltsam, denn irgendwo musste Julian doch das alte Tagebuch hergehabt haben.
Ich hatte wohl schon geraume Zeit in dem Arbeitszimmer verbracht, denn Tilly erschien neugierig an der Tür.
»Finden Sie nicht, was Sie suchen?«
»Nein, es ist nicht hier. Sagen Sie, hat Uschi inzwischen nicht doch etwas fortgeräumt?«
»Nicht aus diesem Zimmer.«
»Aus einem anderen?«
»Sie hat seine Anzüge und so weggegeben.«
»Mh, mir geht es um persönliche Urkunden, Geburtsurkunden, Heiratsurkunden und so was.«
»Keine Ahnung, wo die sein könnten, Frau Kaiser. Ich bin aber noch nicht lange genug im Haus, und schnüffeln tu ich nicht.«
»Natürlich. Lassen Sie mich überlegen. Wissen Sie was? Ich gehe noch mal ins Musikzimmer und schaue mich um.«
»Na, ob Sie da so etwas finden?«
»Weiß ich auch nicht, ich sehe mich trotzdem um.«
Julian hatte einen Raum im Keller schalldicht machen lassen, hier standen seine Instrumente, ein Aufnahmegerät und andere technische Einrichtungen, die er im Laufe der Zeit angeschafft hatte. Auch sein Archiv an Schallplatten, Bändern und CDs befand sich hier unten. Noten, Kompositionen, Arrangements befanden sich in Ordnern, aber die gesuchten Unterlagen gab es nicht. Ich schaltete das Bandgerät ein. Warum, wusste ich selber nicht. Erschrocken fuhr ich zusammen, als ich Julian singen hörte. Er hatte ein Lied aufgenommen, sich selbst dazu mit der Gitarre begleitet. Es war eine ruhige, melancholische Melodie, einfach, vielleicht sogar zu schlicht, doch sie hatte einen Klang, der zu Herzen ging. Möglicherweise nur mir, da ich seine Stimme kannte. Es musste eine eigene Komposition sein, womöglich auch sein eigener Text. Ich stellte das Gerät ab und nahm die Kassette heraus. Sie wanderte ebenfalls in meine Tasche. Dann ging ich nach oben und schaute in die Küche, ob Tilly den versprochenen Kaffee gekocht hatte.
Die Kaffeemaschine war gefüllt, Tilly hingegen nicht zu sehen. Ich goss mir eine Tasse ein und dachte nach. Das Haus war geräumig, es gab etliche Stellen, an denen
sich alte Unterlagen befinden konnten. Es gab sogar einen Tresor, aber weder kannte ich die Zahlenkombination noch hatte ich den Schlüssel dazu. Wenn die Sachen darin waren, dann musste ich tatsächlich auf Uschi warten und hoffen, dass sie ihn mir zugänglich machte. Keine erfreuliche Aussicht. Und das Gerümpel in Keller und Dachboden durchwühlen… Dachboden? Warum nicht? Eher als im Keller, denn dort standen vornehmlich Gartenmöbel, Vorräte und Weinflaschen.
Einen Versuch war es wert. Ich sprang auf und lief die Treppe hoch. Vom Fenster aus sah ich Tilly mit dem Briefträger schwatzen. Wie günstig. Mit der Hakenstange öffnete ich die Klappe in der Decke und zog die Trittleiter herunter. Zu der Zeit, als das Haus gebaut worden war, war es noch nicht üblich, den Dachboden so zu isolieren, dass man ihn hätte bewohnen können. Es war kühl hier oben und staubig. Zwei ausrangierte Kleiderschränke standen herum, ein Kinderwagen, dem Modell nach einer, in dem ich wohl mal gelegen hatte, zwei Lederkoffer. Noch ältere Modelle. Ich machte mich an den Schnallen und Verschlüssen zu schaffen. Im ersten befanden sich ein paar alte Kleider. Bei dem zweiten wurde ich fündig. Wahrhaft fündig. Hefte, gleich denen des Tagebuchs, das Rose erhalten hatte, lagen ordentlich in Klarsichtfolien eingewickelt darin. Zumindest hatte sie ganz offensichtlich jemand aus dem Plastikzeitalter schon einmal in die Hand genommen und versucht, sie einigermaßen zu schützen. Ich schlug den Koffer zu und zerrte ihn zur Leiter. Den wollte ich ungeprüft mitnehmen.
Tilly beobachtete den Abtransport mit Misstrauen, konnte aber wenig einwenden. Aber sie würde es natürlich Uschi berichten, und das Theater würde mir nicht erspart bleiben.
Zu Hause angekommen überlegte ich, ob ich Rose über meinen Fund informieren sollte. Doch dann fiel mir ein, dass Cilly ja wieder zur Schule gehen musste und nicht dabei sein
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