Der Lockvogel
Risiko nehme ich gerne auf mich. Schließlich verpflichten Sie sich, mich in Ruhe mein Leben leben zu lassen. Das Gleiche gilt für Nina Gerstman.«
Malin schwieg vielleicht zehn Sekunden lang. Lock blickte zu Webster hoch und zuckte mit den Schultern. Dann redete Malin. »Das ist alles?«
»Im Großen und Ganzen ja. Wenn wir uns treffen, können wir die Details besprechen.«
»Wie viel?«
»Zehn Millionen Dollar.«
Malin grunzte. »Wo wollen Sie sich treffen?«
»Halten Sie sich bereit, am Montagmorgen nach Europa zu fliegen. Ich werde Sie morgen um Mitternacht anrufen und wissen lassen, zu welchem Flughafen. Der Flug wird von Moskau aus nicht länger als vier Stunden dauern. Wenn
Sie landen, werde ich Sie wieder anrufen und Ihnen eine Zeit und einen Ort nennen, an dem wir uns treffen.«
»Das ist nicht genug Zeit, einen Flugplan genehmigen zu lassen.«
»Es ist Russland. Sie werden es schaffen.«
Es war still in der Leitung. Schließlich sagte Malin: »Lassen Sie mich Sie in einer Stunde zurückrufen. Ich muss nachdenken.«
»Nein, das müssen Sie nicht. Wenn Sie jetzt nicht einem Treffen zustimmen, rufe ich sofort das FBI an und gebe denen die Dateien. Die werden ihre Freude daran haben.«
»Sagen Sie mir, was die Dateien enthalten.«
»Sie können es herausfinden, wenn wir uns am Montag treffen. Das ist kein Trick.«
Wieder Stille. Lock stellte sich Malin vor, sein ausdrucksloses Gesicht, während er das Gehörte verarbeitete.
»Rufen Sie mich morgen an«, sagte Malin und beendete das Gespräch.
Lock spürte Websters Hand auf seiner Schulter und schaute auf.
»Was hat er gesagt?«, fragte Webster.
»Dass wir morgen anrufen sollen.«
»Das ist gut. Sehr gut. Hat er gesagt, dass er kommt?«
»Nein. Aber ich glaube, er wird kommen.«
»Wie war er?«
»Wie immer. Er lässt sich nicht in die Karten schauen.«
»Sie waren gut. Selbstsicher.«
Lock lächelte. Sein Kopf wurde langsam wieder klar, und zum ersten Mal an diesem Tag hatte er das Gefühl, etwas essen zu können.
Später aßen sie zusammen im Restaurant des Hotels. Es gab noch drei andere Gäste: eine Gruppe Amerikaner, bestehend aus einem Rentnerehepaar und einer Freundin, die zusammen einen Monat lang Deutschland und Holland bereisten. Vor dem Essen saßen Lock und Webster mit ihnen in der Bar und machten Small Talk. Webster bestritt den Großteil der Unterhaltung, während sich der immer noch angeschlagene Lock zurückhielt. Die Freundin war vor zehn Jahren schon einmal in Wandlitz gewesen, als das Hotel gerade eröffnet hatte; damals war Sommer gewesen, und sie war im See geschwommen. Webster lenkte das Gespräch auf ihre Reise. Ja, sie hatten Berlin besucht. Was für eine außergewöhnliche Stadt – ein historisches Monument für sich –, aber welche Gewalt sie erlebt hatte. Webster macht das gut, dachte Lock. Schließlich sagte er zu Locks Erleichterung, dass sie nun essen müssten, und sie gingen zu ihrem Tisch.
»Nette Leute«, sagte Webster.
»Nette Leute. Sehr nett. Sie hatten ein gutes Leben.«
»Kein Selbstmitleid, bitte. Sie haben mir gesagt, dass Sie sich positiv fühlen.«
»Nein, ich meine es ernst. Sie hatten ein gutes Leben. Das finde ich gut. Es ist schön, ein paar normale Menschen zu treffen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das zum letzten Mal getan habe.« Lock nahm einen Schluck Wasser. Er zog seine Serviette vom Tisch, schüttelte sie auseinander und breitete sie über seinen Schoß. »Wissen Sie, was ich tun wollte, bevor ich Sie in London anrief?«
Webster schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Ich wollte weglaufen. Ich hatte mir überlegt, dass ich, wenn ich es bis in die Schweiz schaffe, mein ganzes Geld dort abheben und anschließend verschwinden würde. Ich
kenne jemanden in Istanbul, von dem ich dachte, dass er mir vielleicht einen Pass beschaffen könnte.«
»Wohin wären Sie gegangen?«
»Ich weiß nicht. Vanuatu. Oder irgendeine indonesische Insel. Irgendein Ort mit viel Sonne und ohne nennenswerte Regierung.« Er lächelte. »In der Schweiz habe ich fast neun Millionen Dollar. Wenn ich noch dreißig Jahre lebe, dann sind das dreihunderttausend pro Jahr. Das reicht.«
Eine Kellnerin kam und fragte, ob sie schon bestellen wollten.
»Was schaffen Sie?«, fragte Webster.
»Sehr wenig.«
»Was Sie brauchen, ist gekochter Reis mit Karotten. Und ein Glas Rotwein.«
»Warum in aller Welt sollte ich das wollen?«
»Gut für einen empfindlichen Magen. Vertrauen Sie mir. Ich würde nichts
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