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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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und dass Dmitris Tod Ihnen den Rest gegeben hat.«
    »Haben Sie den Brief?«
    »Ja. Ich habe ihn aus dem Zimmer mitgenommen und stattdessen ein Duplikat dagelassen. Vielleicht sind sie darauf hereingefallen.«
    Lock nickte.
    »Möchten Sie ihn sehen?«, fragte Webster und beugte sich vor, als wolle er aufstehen.
    »Da liest man seine eigene Todesanzeige«, sagte Lock, mehr zu sich selbst. Er schüttelte den Kopf.
    Webster lehnte sich wieder zurück. »Das allein besagt leider wenig. Wir können wahrscheinlich beweisen, dass es nicht Ihre Handschrift ist, aber es wird keine Fingerabdrücke geben, und selbst wenn, wäre es keine Hilfe.«
    »Also?«
    Webster sammelte sich. »Malin will das Dossier. Er will auch Sie. Wenn Sie nach Russland gehen, werden wir Sie nie wiedersehen. Also bringen wir ihn hierher, kontrollieren die Situation sehr sorgfältig, und Sie reden mit ihm. Sie fragen ihn, warum er Sie umbringen lassen wollte.«

    »Er wird niemals etwas sagen.«
    »Sie wären überrascht, was die Leute alles sagen, wenn sie glauben, dass niemand zuhört.«
    Lock dachte einen Moment lang nach.
    »Er wird niemals herkommen.«
    »Er wird kommen. Er wird kommen, um Sie zu kriegen.«
    Lock schaute zu Boden und strich das Haar an einer Seite seines Kopfes glatt – zweimal, dreimal. »Und was will ich?«
    »Was Sie ihm sagen sollen?«
    »Ja.«
    »Das ist eigentlich egal. Das Einzige, was definitiv nicht passieren wird, ist, dass Sie das Dossier übergeben und er Ihre Forderungen erfüllt.«
    »Vielleicht doch.«
    Webster erwog diese Möglichkeit. Er schaute Lock an; sein Gesicht war aufgedunsen, die Haut an den Wangen immer noch kränklich blass. »Okay, wir könnten es auch so aufziehen. Sie können beides versuchen. Oder eines von beiden. Die Hauptsache ist in beiden Fällen, dass es überzeugend klingt, nehme ich an. Was würden Sie fordern?«
    »Eine Trennung. Ich würde verkaufen. Besser gesagt, es würde so aussehen, als ob ich verkaufe. Er könnte einen Käufer finden, und ich würde an diesen verkaufen. Als Gegenleistung würde ich etwas Geld verlangen und eine Garantie, dass er mich in Ruhe lässt.«
    »Eine Garantie?«
    Lock zuckte mit den Schultern. »Ich weiß. Aber wenn ich weg bin und die Geschichte wasserdicht ist, warum dann noch Aufmerksamkeit erregen, indem man mich um die Ecke bringt?«

    Webster nickte langsam. Er warf Lock einen offenen Blick zu. »Wir müssen das nicht machen. Wir können nach London zurückfliegen. Sie an einen sicheren Ort bringen.«
    »Ich bin heute eigentlich nicht imstande zu denken.« Lock erhob sich, eine Hand am Bett, um das Gleichgewicht zu halten. »Ich werde mich hinlegen.«
    »Aber wenn wir es machen, dann bald. Sie sollten Malin heute noch anrufen.«

17
    Lock sagte Ja. Nach einer Stunde in seinem Zimmer wusste er, wie seine Antwort lauten musste.
    Er hatte am Fenster gesessen und auf den See hinausgeschaut, der jetzt stahlgrau unter den Wolken lag, die stetig von Westen herangezogen waren. Schwarze Bäume beugten sich über die Wasserfläche; sie sahen aus wie mit Kohle skizziert; das gegenüberliegende Ufer war nicht zu sehen.
    Er war noch nie dem Tod nahe gewesen, und jetzt, nachdem er diese Erfahrung gemacht hatte, konnte er sich nicht daran erinnern. Sogar das hatte Malin ihm geraubt. Aber er wusste, dass die Dinge sich geändert hatten. Sein Leben – sein bisheriges kränkliches Dasein – hatte einen Scheideweg erreicht. In Berlin hatten sie ihn betäubt, doch in Wahrheit war er schon seit Jahren ohne Bewusstsein: heiter, friedlich, ein Narr unter Verbrechern. In den eigenen Tod zu stolpern, ohne zu sehen und zu denken – was für ein passender Weg, ein solches Leben zu beenden. Und es war zu Ende. Es war vorbei. Nicht nur, dass er sich nicht länger dazu bringen konnte, Malin zu schützen; er konnte es auch nicht länger ertragen, sein altes Ich zu schützen. Das FBI, die Schweizer, Tourna, die Journalisten, die Witzbolde in Moskau: Sie konnten ihn haben. Sie hatten von Anfang an recht gehabt,
und wenn sie es beweisen und damit herumprahlen wollten, dann sollten sie doch.
    Malin aber, Malin gehörte ihm. Lock wollte, dass dieses aufgeblasene und Schrecken verbreitende Leben zurechtgestutzt, seiner Macht beraubt und in seiner Verlogenheit bloßgestellt wurde. Er wollte, dass Malin verstand, wie es war, nichts zu sein, ein Bettler zu sein, jeden Halt zu verlieren.

    Er fand Webster im Restaurant, der einzige Mensch in dem adretten, hellen Speisesaal. Ein leichter

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