Der Lockvogel
als wir das letzte Mal miteinander sprachen. Ich konnte Sie nicht ewig beschützen. Wären Sie nach Moskau zurückgekommen, dann wären Sie kein Risiko mehr gewesen.«
»Ich bin kein Risiko für Sie. Ich will kein Risiko für Sie sein. Ich will überhaupt nichts mit Ihnen zu tun haben. Darum dreht es sich bei der ganzen Sache.« Locks Stimme wurde jetzt lauter. »Wir können auseinandergehen. Für immer. Trennung. Scheidung. Ich werde verschwinden. Ich werde Ihnen keinen Ärger machen. Sie wissen das.«
»Richard, das ist nicht meine Entscheidung.«
Locks Kopf wurde von einem lauten Rauschen erfüllt. Er konnte nicht mehr denken.
»Was?«
»Sie und ich, wir sind gleich, Richard. Wir sind Strohmänner für andere.« Er machte eine Pause. »Es waren nicht meine Männer, die versucht haben, Sie zu töten. Es waren Männer der Regierung.«
Lock wandte die Augen von Malin ab und schaute aus dem Fenster. Er sah Fahrräder, die ordentlich in ihren Ständern aufgereiht waren. Immergrüne Bäume, mit Schnee beladen wie Weihnachtsbäume.
»Ich bin hergeflogen, um zwei Dinge zu holen, Richard.
Das hier«, er legte die Hand auf den Stapel Papier, »und Sie. Wäre das hier wertvoll gewesen, hätte ich zurückgehen und sagen können, dass Sie immer noch loyal sind. Vielleicht hätten Sie hierbleiben können. Vielleicht. Doch nun müssen Sie mit mir kommen. Damit kann ich nicht allein zurückgehen.«
»Ich gehe nicht zurück.«
»Richard, verstehen Sie das.« Malin beugte sich weiter vor. Jetzt flüsterte er beinahe. »Sie haben einigen sehr wichtigen Leuten schlaflose Nächte bereitet. Kreml-Leuten. Diese Leute sehen Russlands Interessen gefährdet. Sie sehen ihre eigenen Interessen offengelegt. Sie haben mir klar zu verstehen gegeben, dass ich diesen Schlamassel in Ordnung bringen muss. Wenn Sie mit mir nach Russland kommen, sind Sie sicher. Außerhalb von Russland wird man Sie nicht existieren lassen.«
»Ich kann nicht zurückgehen.«
Malin sagte eine Zeit lang nichts, die Augen unverwandt auf Lock gerichtet. »Richard, Sie wissen, was mit Leuten wie uns geschieht, wenn wir nicht mehr nützlich sind. Ich stehe kurz davor, nicht mehr nützlich zu sein. Ihre einzige Hoffnung ist es, mich zu begleiten und Gras über diese Episode wachsen zu lassen. In zwei Jahren werden wir beide wieder da sein, wo wir vorher waren.«
Lock schüttelte den Kopf. Sein Kinn war trotzig nach vorn geschoben, in seinem Kopf mischten sich Rauschen und Wut.
»Und Dmitri? Wo wird er sein?«
»Für Dmitri war es zu spät.«
»Dann ist es auch zu spät für mich.«
Malin lehnte sich zurück. »Es tut mir leid, Richard. Ich kann diese Entscheidung nicht Ihnen überlassen.« Er drehte sich zu Iwan um, wieder nur wenige Zentimeter, und nickte.
Lock sah, wie Iwan auf ihn zukam und mit einer Hand in seine Manteltasche griff. Lock schob seinen Stuhl zurück und wollte aufstehen. Er rief: »Hilfe! Stopp!« und hob die Hände, um Iwan abzuwehren. Webster und andere englische Stimmen schrien durcheinander. Er sah, dass Iwans Hand aus der Tasche glitt und dass sie eine Injektionsspritze hielt; er spürte, wie Iwans starke Hand seinen Arm packte. Dann lockerte sich der Griff, und Lock, aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte und fiel rückwärts gegen das Fenster. Als er aufblickte, sah er, dass zwei von Blacks Männern Iwan ergriffen hatten. Die Spritze lag auf dem Boden. Malin saß immer noch am Tisch, sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert; Webster war bei ihm.
Malin stand auf. Er schaute Webster an. »Wir gehen«, sagte er auf Englisch. Er sortierte die Papiere zu einem Stapel, nahm ihn an sich und ging an Iwan und Blacks Männern vorbei. Iwan schüttelte die Hände ab, die ihn hielten, und folgte ihm.
Einer von Blacks Männern bückte sich und hob die Spritze auf. Es war eine klare Flüssigkeit darin; sie war noch voll. Er übergab sie Webster, der gerade die Telefone und den Umschlag vom Tisch einsammelte.
»Kommen Sie«, sagte Webster zu Lock. »Gehen wir.«
Lock richtete sich auf. Von den umliegenden Tischen starrten Gesichter zu ihm herüber. Inzwischen waren auch zwei Wachleute der Bibliothek gekommen, und einer von Blacks Männern beruhigte sie: »Wir gehen.« Webster führte Lock zwischen den Tischen hindurch, hinaus in die Eingangshalle und in Richtung Tür.
»Sind Sie okay, Richard?«
»Mir geht es gut.«
»Was haben Sie erreicht?«
»Ich glaube, wir sind beide erledigt.«
Als sie den Eingang erreichten, stieß
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