Schockwelle
Das Floss der Gladiator
11. Januar 1856
Tasmansee
Im Jahr 1854 wurden im schottischen Aberdeen vier Klipper gebaut, Schnellsegler für den Überseehandel. Einer davon sollte alle anderen in den Schatten stellen. Es war die
Gladiator
, ein großes Schiff, 1256 Tonnen schwer, 60 Meter lang, 10 Meter breit, mit drei hoch aufragenden Masten, die in schnittigem Winkel gen Himmel strebten. Sie war einer der schnellsten Klipper, der je vom Stapel lief, aber wegen ihrer allzu schlanken Bauweise hatte sie bei schwerem Wetter ihre Tücken. Sie wurde als »Geisterfahrerin« gepriesen, da sie auch beim geringsten Wind noch segeln konnte. Tatsächlich geschah es nicht ein einziges Mal, daß die
Gladiator
unterwegs durch eine Flaute aufgehalten wurde.
Unglücklicherweise, und ohne daß es jemand ahnen konnte, war sie dem Untergang geweiht.
Ihre Eigner ließen sie für den Australienhandel ausrüsten, versprachen sich aber auch gute Geschäfte durch Auswanderer; daher war sie einer der wenigen Klipper, die sowohl Passagiere als auch Fracht befördern konnten. Doch wie sie bald feststellen mußten, gab es nicht viele Aussiedler, die sich die Überfahrt leisten konnten, so daß die Kabinen der ersten und zweiten Klasse zumeist leer blieben. Schließlich befand man, daß es einträglicher sei, wenn man im Auftrag der Regierung Sträflinge zum fünften Kontinent beförderte, der in den Anfangszeiten seiner Kolonisation das größte Zuchthaus der Welt war.
Die
Gladiator
wurde dem Kommando von Charles »Bully«
Scaggs unterstellt, einem der größten Draufgänger unter den Klipperkapitänen. Er trug seinen Spitznamen zu Recht. Zwar ging er niemals mit der Peitsche gegen Drückeberger und ungehorsame Besatzungsmitglieder vor, doch rücksichtslos trieb er Schiff und Mannschaft zu immer neuen Rekordfahrten zwischen England und Australien an. Sein Ungestüm zahlte sich aus. Auf ihrer dritten Heimfahrt stellte die
Gladiator
mit dreiundsechzig Tagen einen Rekord auf, der für Segelschiffe nach wie vor Bestand hat.
Scaggs war gegen die bekanntesten Kapitäne und Klipper seiner Zeit angetreten, darunter John Kendricks mit der schnellen
Hercules
und Wilson Asher mit der berühmten
Jupiter,
und er hatte nie verloren. Konkurrierende Kapitäne, die nahezu zeitgleich mit der
Gladiator
in London ausliefen, mußten immer feststellen, daß sie längst am Kai vertäut lag, wenn sie im Hafen von Sydney eintrafen.
Für die Sträflinge, die den Transport unter alptraumhaften Bedingungen und entsetzlichen Qualen durchstehen mußten, waren diese schnellen Überfahrten ein Gottesgeschenk. Viele der langsameren Handelsschiffe brauchten bis zu dreieinhalb Monate für die Fahrt.
Die Sträflinge waren unter Deck eingesperrt und wurden wie eine Ladung Vieh behandelt. Teils handelte es sich um abgefeimte Verbrecher, teils um Umstürzler und Aufrührer, doch allzu viele waren lediglich arme Schlucker, die man verhaftet hatte, weil sie einige Kleidungsstücke oder ein paar Brocken Brot gestohlen hatten. Die Vergehen, für die die Männer seinerzeit in die überseeischen Kolonien verbannt wurden, reichten vom Mord bis zum Taschendiebstahl. Die Frauen, durch ein starkes Schott von den Männern getrennt, waren zumeist wegen kleiner Eigentumsdelikte oder wegen Ladendiebstahls verurteilt worden. Für beide Geschlechter war die Überfahrt gleichermaßen unangenehm. Ein hartes Lager auf schmalen Holzkojen, erbärmliche sanitäre Verhältnisse und eine nährwertarme Kost waren das Los, das sie auf der monatelangen Reise erwartete. Die einzigen Vergünstigungen waren der Zucker, der Essig und der Zitronensaft, den man ihnen zum Schutz vor Skorbut zuteilte, dazu abends ein Schoppen Portwein, um ihnen moralischen Auftrieb zu geben. Sie wurden von einer kleinen, zehn Mann starken Abteilung des New South Wales Infanterieregiments unter dem Kommando von Leutnant Silas Sheppard bewacht.
Eine Belüftung war so gut wie nicht vorhanden; lediglich durch die massiven, stets mit schweren Riegeln verschlossenen Lukengitter drang gelegentlich etwas Frischluft ein. Sobald man in die Tropen kam, wurde es tagsüber erstickend heiß unter Deck. Noch mehr aber litten die Sträflinge bei schlechtem Wetter, Nässe und Kälte, wenn sie, in nahezu völliger Dunkelheit, hilflos von den Brechern, die an den Schiffsrumpf klatschten, herumgeschleudert wurden.
Auf jedem Sträflingsschiff mußte laut Vorschrift ein Bordarzt mitfahren; so auch auf der
Gladiator.
Stabsarzt Otis Gorman achtete auf
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