Der Mann, der sein Leben vergaß
nehmen und mit dem nahegelegenen Gefängnis an der Lijnbaansgracht in direkter Verbindung zu stehen.
Ferdinand Brox, ein 28 Jahre alter Mann, dessen Frechheit in Kollegenkreisen berühmt und in der Verbrecherwelt gefürchtet war, blickte seinen Chef mit zusammengekniffenen Augen an und seufzte tief auf.
»Ich weiß nicht«, sagte er, »was in Sie gefahren ist, lieber Trambaeren! Seien Sie froh, daß unser Dezernat so ruhig ist! Es geht nichts über die Geruhsamkeit des Beamten! Oder wünschen Sie sich jeden Tag einen Mord mit wilder Jagd nach dem Täter?«
»Immer noch besser als dieses Herumsitzen und Warten«, knurrte Trambaeren und steckte sich eine Zigarette an. Dann hielt er die Schachtel über den Tisch zu Brox. »Nehmen Sie auch eine?«
»Bin so frei«, nickte Brox und nahm sich eine Zigarette heraus.
Da klopfte es.
»Nanu?« sagte Trambaeren erstaunt und sah Brox an. »Es klopft.«
»Es scheint so«, nickte Brox.
»Um ½ 11 Uhr abends?«
»Vielleicht Ihr ersehnter Mord?«
»Herein!« rief der Inspektor und setzte sich hinter dem Schreibtisch zurecht.
Ein Polizeibeamter, der unten als Pförtner Nachtdienst machte, trat ein und pflanzte sich an der Tür auf. Sein gutmütiges Gesicht war voller Diensteifer.
»Unten stehen zwei Frauen«, meldete er. »Sie möchten den Herrn Inspektor sprechen. Es ist eilig, sagen sie.«
»So? Sagen sie? Um was handelt es sich denn?«
Trambaeren hatte eine Abneigung gegen nächtliche Frauenbesuche. Meistens waren es Eifersuchtsszenen, oder versuchte Notzüchtigungen.
Der Polizist zuckte die Achseln.
»Das haben die Frauen nicht gesagt. Sie sind nur sehr aufgeregt, eine von ihnen weint andauernd und redet von verschwunden …«
Der Polizist salutierte und verließ das Zimmer.
Zögernd, befangen von der gefürchteten Nähe der Polizei, mit geröteten, verweinten Augen traten wenig später Antje van Brouken und die dickliche Postinspektorswitwe ins Zimmer.
Trambaeren sprang auf, bot den beiden Damen Platz an und fragte sie, was sie zu so später Stunde noch zu ihm führte. Brox hielt sich im Hintergrund und machte sich stenographische Notizen.
Stockend, oft unterbrochen durch die ausbrechenden Tränen und heftiges Schluchzen, erzählte Antje das Verschwinden ihres Mannes Pieter.
Inspektor Trambaeren sah zunächst erstaunt in die Ecke zu Brox, der ihm frech zulächelte.
»Sie heißen Antje van Brouken?« fragte er nach einer Weile. »Sie geben zu Protokoll, daß Ihr Ehemann Pieter van Brouken, von Beruf Sparkassenkassierer, um 5 Uhr heute nachmittag nicht nach Hause kam und bis zur Stunde noch nicht eingetroffen ist?«
Antje schluchzte und nickte.
»Aber von der Sparkasse ist er pünktlich wie immer weggegangen!« weinte sie.
»Das ist noch lange kein Grund zur Beunruhigung.« Trambaeren versuchte, die kleine Frau zu trösten und lächelte schwach. »Vielleicht haben ihn unterwegs Freunde oder Bekannte aufgehalten, und Ihr Mann sitzt jetzt zu Hause, ein wenig angeheitert, und wartet auf sein spätes Abendessen.«
Empört blickte Antje hoch und sah den Inspektor feindselig an.
»So etwas tut mein Pieter nicht!« rief sie laut und stand auf. »Ich fühle, ihm ist etwas zugestoßen.«
»Das läßt sich sofort feststellen«, sagte Trambaeren und griff zum Telefon. Er wählte eine Nummer und rief in den surrenden Apparat: »Ja! Hier Inspektor Trambaeren! Haben Sie schon die heutige Unfallliste vorliegen? Ja! Sehr gut! Sehen Sie doch bitte einmal nach, ob ein Pieter van Brouken darunter ist.«
Eine Weile war es still im Raum. Gespannt, zitternd vor Erwartung und innerer Erregung, hingen die Blicke der beiden Frauen auf den Lippen Trambaerens. Endlich krächzte eine Stimme im Apparat, und der Inspektor nickte. »Danke! Das war alles! Nichts!« sagte er langsam. »Ihr Mann ist nicht verunglückt. Es liegt keine Meldung vor!«
»Aber er ist nicht nach Hause gekommen!« rief Antje verzweifelt und klammerte sich an die Lehne des Stuhles. Sie fühlte, wie ihre Beine schwach wurden. »Er muß doch irgendwo sein.«
Inspektor Trambaeren zuckte die Achseln.
»Hatten Sie eine Auseinandersetzung?« fragte er dann.
»Nein! Wir zankten uns nie! Wir lebten glücklich miteinander.«
Die joviale Postinspektorswitwe nickte und stützte die schwankende Antje.
»Das kann ich bezeugen«, sagte sie und legte den Arm um die junge Frau. »Für Herrn van Brouken gab es nur zweierlei, das er liebte: seine Frau und sein Kind. Er war ein gewissenhafter Beamter, der nicht trank, mit
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