Der Mann mit der dunklen Maske
erklärte Evelyn Prior, als sie den Raum betrat. Sie ließ sich in einen mächtigen Ohrensessel vor dem Kamin sinken. In dem anderen Sessel hatte sich der Hausherr niedergelassen. Grübelnd starrte er in die Flammen und kraulte den Kopf seines Irischen Wolfshunds Ajax.
Brian Stirling, Earl of Carlyle, sah sie nachdenklich an. Nach einem Moment sagte er: „Wie schwer ist er verletzt?“
„Oh, nicht schwer, möchte ich sagen. Der Arzt meinte, er habe einen Schock und ein paar Schürfwunden. Doch er glaubt nicht, dass er sich etwas gebrochen hat, als er über die Mauer geklettert und abgestürzt ist. Ich denke, in ein paar Tagen wird er völlig wiederhergestellt sein.“
„Er wird also nicht nachts durchs Haus schleichen und uns so Ärger bereiten?“
Evelyn lächelte. „Liebe Güte, nein. Corwin hält Wache im Flur. Und wie du weißt, halten wir die Gruft immer fest verschlossen. Nur du und ich haben einen Schlüssel. Also selbst wenn er herumwandern würde, könnte er nichts finden. Aber er wird nicht herumwandern. Der Arzt hat ihm eine kräftige Dosis Laudanum gegen die Schmerzen gegeben.“
„Corwin soll darauf achten, dass er nicht herumschleicht“, entschied Brian. Er hatte nur wenig Personal auf Schloss Carlyle. Viel zu wenig für einen solchen Besitz. Jeder Einzelne hier war nicht nur Bediensteter, sondern auch Freund. Ihm treu ergeben, weit mehr, als es vielleicht den Anschein hatte.
„Du hast natürlich Recht. Corwin wird sehr gewissenhaft sein.“
„Was ist wohl in diesen Mann gefahren, so etwas zu tun?“ fragte Brian. Wieder wandte er Evelyn den Blick zu. „Das Anwesen selbst ist völlig überwuchert. Ein wahrhafter Dschungel. Es ist erstaunlich, dass er es riskieren wollte, sich einen Weg da durchzubahnen.“
„Der Besitz war außerordentlich gepflegt, als deine Eltern noch lebten“, murmelte Evelyn.
„Ein Jahr mit englischem Regen kann wahre Wunder vollbringen, meine Liebe“, erwiderte Brian. „Jetzt haben wir hier einen Dschungel und wilde Tiere. Warum sollte er das riskieren?“
„Weil er große Reichtümer zu finden hoffte“, entgegnete sie.
„Glaubst du, dass er für jemanden arbeitet?“ fragte Brian scharf.
Sie hob die Hände. „Ganz ehrlich? Nein, ich glaube, er ist gekommen, um irgendetwas Wertvolles zu stehlen und sonst nichts. Aber natürlich ist es möglich, dass er für jemanden arbeitet und in Erfahrung bringen will, was du hast und was du weißt.“
„Das werde ich morgen herausfinden“, erklärte Brian. Seine Stimme klang frostig, obwohl er es gar nicht so meinte. Aber wenn es um Schloss Carlyle oder seine derzeitigen Aktivitäten ging, wurde er gern etwas schroff. Er war verbittert und zwar zu Recht. Es ging um mehr als die Vergangenheit, die aufgeklärt werden sollte. Es ging um seine Zukunft.
Evelyn betrachtete ihn besorgt. Sein Ton gefiel ihr nicht. „Der Mann hat gesagt, sein Name sei Tristan Montgomery. Und er schwört, dass er allein war. Aber das weißt du ja bereits.“
„Ja, ich weiß. Er behauptet auch, dass er auf mein Land ‚gestolpert‘ sei. Wie jemand über eine drei Meter hohe Mauer stolpern kann, ist mir allerdings nicht klar. Da er behauptet, nichts Böses im Schilde geführt zu haben, besteht er natürlich auch darauf, an keiner Verschwörung beteiligt zu sein. Aber wir werden sehen. Shelby wird morgen in die Stadt fahren und versuchen, etwas über den Mann herauszufinden. Natürlich bleibt er unser Gast, bis wir seine wahren Absichten kennen.“
„Sollte ich morgen vielleicht auch in die Stadt fahren und ein paar Einkäufe erledigen?“
„Vielleicht“, sagte Brian nachdenklich. Dann seufzte er tief. „Und vielleicht ist es auch Zeit, dass ich eine von den Einladungen annehme, die mich in der letzten Zeit erreicht haben.“
Evelyn lächelte. „In der Tat, das habe ich dir ja oft genug gesagt. Aber bedenke all die verängstigten Mütter der Debütantinnen.“
„Auch wieder wahr.“
„Es ist schade, dass du keine Verlobte oder Frau hast, die dich begleiten kann. Als Beweis, dass auf diesem Haus kein Fluch liegt und dass du kein Untier bist, sondern ein Mann, der eine große Familientragödie erlitten hat.“
„Auch das stimmt“, murmelte er und warf ihr einen Blick zu, während er über ihre Worte nachdachte.
„Oh, du liebe Zeit, sieh nicht mich so an.“ Evelyn lachte. „Ich bin viel zu alt, Euer Gnaden.“
Er musste grinsen. Evelyn war eine schöne Frau. Ihre grünen Augen sprühten vor Intelligenz, und obwohl sie
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