Die Zukunft des Mars (German Edition)
Erste Schreibnacht
A lle mussten sterben. Bis auf den heutigen Tag ist noch ein jeder von Euch gestorben, kaum dass er bei uns eintraf. Fast allen, die Ihr geschickt habt, erlosch das Dasein gleich nach der Auffindung, als bliese ihnen unser freudig erregter Atem das Lebenslicht aus. So hat es Smosmo mir, den er zum Nothelfer gemacht hat, gefragt und ungefragt, wieder und wieder erzählt. Smosmo, mein verehrter Lehrer und Vorleser, war das letzte Mal, voll Sehnsucht, voller Sorge, erfüllt vom Weh der aufflammenden Hoffnung, am Ort des Geschehens. Keuchend inhalierte er die damals noch schmerzhaft arme Luft des freien Geländes. Smosmos bloße Hände lagen auf den knittrigen Schulterpolstern des Raumanzugs. Der Helm fehlte. Jener Helm, hinter dessen bläulich getöntem Sichtfenster dem vorletzten Angekommenen, Smosmos ältester Kollege hatte es mitangesehen, der in unseren Himmel gerichtete, noch ein knappes Weilchen kindlich staunende Blick zerbrochen war.
Allein das letzte Mal gelang es dem herbeigeeilten Bergungstrupp, den aus den Wolken Gefallenen lebend bis ins Sonnenhaus zu schaffen. Von der Transportkarre hob man ihn auf den Altar. Angeleitet von der damaligen Barmherzigen Schwester begannen die Nothelfer, Euren Abgesandten aus seinen irdischen Hüllen zu schälen. Zwei unserer Allesmacher hatten ihn nahe der Grabungsstelle für orangen Warmstein im Sand gefunden. Auf dem Kopf trug er eineenge Haube aus einem unserem Mockmockgummi ähnlichen, allerdings silbrig hellen Material. Als sie ihm vorsichtig vom Schädel geschnitten wurde, überraschte Smosmo die geringe Länge des grauen Haars. Er, der Heimlichleser, der Buchkundige, schloss daraus für sich, dass dieser Schädel vor dem Abschied aus Eurer Welt glatt rasiert worden war. Und weil wir, nicht anders als Ihr, einen Grund, der uns derart aus dem Augenschein entgegenstürzt, ins Herz schließen müssen wie ein neugeborenes Kind, dachte mein zukünftiger Lehrer in allermenschlichstem Kurzschluss, just diese Rasur habe dem Reisenden das Schicksal seiner Vorgänger erspart.
Schon wenig später war auch der an seinem letzten Erdentag glatzköpfig Gewesene tot. Gerne schriebe ich für Euch und für mich als Trost auf diese Seite, auf die erste der drei Leerseiten, die jedes Heilige Buch beschließen, Smosmo hätte mir von einem leichten Hinscheiden berichtet. Die Barmherzige Schwester und die Nothelfer taten, was sie vermochten. Die beängstigend kühle, von feinem Schweiß bedeckte Haut wurde mit einem heißen Brei aus zerriebener Mockmockschale und Blausteinpulver bestrichen. Bei uns gibt es keinen Schmerz, den eine solche Paste nicht zumindest lindern, keinen Krampf, den ihre schnell eindringende Wärme nicht bis in seine Wurzel lösen könnte. Aber dem grauhaarigen Erdling war es offenbar bestimmt, noch einmal jeden einzelnen seiner Muskeln zucken zu lassen. Wenn es einen Tanz im Liegen gibt, dann gehorchte er dessen Regeln. Zu sechst mussten sie seinen Körper festhalten, sonst hätte es ihn wie eine losschnellende Feder vom orangen Warmstein der Altarplatte auf den Boden geschleudert.
Smosmo kam es zu, die trotz ihrer Größe wohlgeformten Ohren in den Handtellern zu bergen. Seine Fingerspitzen spürten das Vibrieren der Kiefermuskeln. Lange schlugdem Krampfenden das Kinn so heftig auf die Brust, als gelte es irgendeine Aussage oder Einsicht mit fortwährendem Nicken zu bestätigen. Und kaum dass sein Nacken erschlafft und die Lider mit einem letzten Zittern halb über die Augäpfel gesunken waren, floss ein Lächeln in seine Züge, das Smosmo an eine besondere Zufriedenheit denken ließ, an das Glück, das man bei uns wie bei Euch empfindet, wenn eine äußerst verzwickte, bis zuletzt von Scheitern bedrohte Arbeit doch noch einen befriedigenden Abschluss findet.
Ich will Euch nichts vormachen. Und da ich wie alle in der Kolonie gehalten bin, an den Seligen Tausch zu glauben, bitte ich Euch, auch mir, wenn es sich ergeben sollte, in einem gnädigen Gegenzug nichts vorzuschwindeln. Heuchelt nicht. Lügt mich dann lieber nicht an. Womöglich käme ich Euch auf die Schliche. Ich kenne Euch recht gut. Zumindest kenne ich Eure Welt wie kein Zweiter auf unserem Planeten. Ich weiß über manches Bescheid, denn ich habe all unsere Bücher, jeden der sechsundfünfzig Folianten immer wieder studiert und begrübelt, und ihre mögliche Weisheit wie ihren möglichen Unsinn in mein Gemüt sickern lassen.
Kein Kolonist hat Kenntnis von meiner Lektüre. Niemand bei
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