Der Mann mit der dunklen Maske
sie nach Kairo gezogen waren. Ihren einzigen Sohn hatten sie zum Studium zurück nach England geschickt. Kaum hatte er die Universität beendet, war er ihnen wieder nach Ägypten gefolgt.
Dann war die Familie, wie Zeitungen zu berichten wussten, einem tödlichen Fluch zum Opfer gefallen. Sie hatten das Grab eines alten Priesters entdeckt, gefüllt mit wertvollen Artefakten. Darunter war auch eine Kanope, ein Krug, in dem die alten Ägypter die Eingeweide ihrer Toten beisetzten und in dem sich das Herz der Lieblingskonkubine des Priesters befand. Die Konkubine war angeblich eine Hexe gewesen. Als die Kanope aus dem Grab entfernt wurde, fiel ein Fluch auf die gesamte Familie. Es wurde berichtet, dass einer der ägyptischen Grabungshelfer zu lamentieren begonnen hatte. Er hatte gen Himmel gezeigt und erklärt, dass es zu einer Katastrophe kommen würde, wenn man so selbstsüchtig und grausam wäre, dieses Herz zu stehlen. Der Earl und die Countess hatten über den Mann gelacht, was sich als ein schwer wiegender Fehler herausstellte, denn innerhalb von Tagen starben beide auf ungeklärte und grausame Weise.
Ihr Sohn, der derzeitige Earl, war zu jener Zeit mit Truppen Ihrer Majestät in Indien, um Aufständische niederzuzwingen. Als er die Nachricht vom Tode seiner Eltern erhielt, hatte er sich überwältigt vom Schmerz in die Schlacht gestürzt und das Blatt gewendet, obwohl die Truppen Ihrer Majestät zahlenmäßig unterlegen waren. Er hatte gesiegt, erlitt allerdings eine Verletzung, die ihn für immer fürchterlich entstellte. Er war verbittert. Und er war belegt mit einem Fluch, der so schrecklich war, dass er trotz des ungeheuren Vermögens, das er geerbt hatte, sich niemals in London auf die Suche nach einer passenden Frau gemacht hatte.
Den Gerüchten zufolge musste der Mann wirklich abstoßend sein. Mit seinem entstellten Gesicht war er böse wie das Herz, das in der Kanope nach Schloss Carlyle gebracht worden war.
Es hieß, das Relikt sei verschwunden, und viele glaubten, das Herz sei mit dem des bösen Schlossherrn verschmolzen. Der Earl hasste offenbar jeden. Er war ein Einsiedler, der abgeschieden auf seinem riesigen, verwilderten Anwesen lebte und jeden gnadenlos mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgte, der es wagte, unaufgefordert einen Fuß auf sein Land zu setzen – wenn er ihn nicht gleich erschoss.
Das alles war Camille bekannt. Ralph brauchte kein weiteres Wort zu sagen. Ihr Herz füllte sich mit Furcht.
Trotzdem zwang sie sich, ruhig zu klingen. „Und wie hat Tristan es geschafft, den Zorn des Earl of Carlyle auf sich zu ziehen?“
Ralph leerte seinen Gin in einem Zug, schüttelte sich, lehnte sich zurück und sah sie an. „Er hatte geplant … also, er wollte einer Kutsche auflauern, die von Norden in die Stadt kam.“
Camille zog scharf die Luft ein und starrte ihn entgeistert an. „Er hatte vor, jemanden auszurauben? Wie ein gewöhnlicher Wegelagerer? Er hätte erschossen werden können oder gehängt!“
Ralph wand sich. „Also, weißt du, das wäre schon nicht passiert. So weit sind wir ja gar nicht gekommen.“
Camille war entsetzt. Endlich hatte sie eine Anstellung. Eine sehr respektable Beschäftigung. Eine Arbeit, die sie faszinierte und die auch angemessen bezahlt wurde. Sie konnte gut für sie beide und für Ralph sorgen, wenn es auch nicht reichte, um im Luxus zu schwelgen. Warum nur musste Tristan sich immer wieder zu kriminellen Machenschaften hinreißen lassen?
„Und was hat verhindert, dass ihr beiden Narren getötet worden seid?“ wollte sie wissen.
Wieder wand sich Ralph auf der schlecht gepolsterten Bank. „Schloss Carlyle“, murmelte er mit gesenktem Blick.
„Sprich weiter!“ forderte Camille ihn auf.
Ralphs Lider flatterten. „Es liegt daran, dass Tristan dich so abgöttisch liebt, Camie“, verteidigte er sich. „Er sucht einfach nach einer Möglichkeit, dir den Weg in die Gesellschaft zu ebnen.“
Wut stieg in ihr auf, verrauchte aber ebenso schnell wieder. Wie sollte sie Ralph nur begreiflich machen, dass sie niemals zur „Gesellschaft“ gehören würde? Vielleicht war ihr Vater ja von adliger Herkunft gewesen. Vielleicht hatte er ihre Mutter sogar in einer geheimen Zeremonie geheiratet. Der Ring, den sie jetzt trug, stammte von einem Mann, der ihre Mutter immerhin so sehr gemocht hatte, dass er in ein derart edles Schmuckstück investiert hatte.
Alle Welt glaubte, dass Camille das Kind eines entfernten Verwandten von Tristan war. Einem Mann,
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