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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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beinahe übel. Er wurde jetzt aschfahl, und aus seinem Gesicht wich alle Spannung, so daß es sich kraftlos runzelte.
    Ulrich bemerkte es und fragte ihn teilnehmend, ob ihm etwas fehle?
    Mit Mühe sagte Walter nein und brachte forsch lächelnd hervor, daß er seinen Unsinn nur zu Ende führen möge.
    »Ach Gott im Himmel,« räumte Ulrich nachgiebi g ein »du hast ja nicht unrecht. Aber sehr oft haben wir aus einer Art Sportgeist Nachsicht mit Handlungen, die uns selbst schaden, wenn der Gegner sie in einer hübschen Weise durchführt; der Wert der Durchführung konkurriert dann mit dem Wert des Schadens. Sehr oft haben wir auch eine Idee, nach der wir ein Stück weit handeln, aber bald springen Gewohnheit, Beharrung, Nutzen, Einflüsterung für sie ein, weil es nicht anders geht. Ich habe also vielleicht einen Zustand beschrieben, der in keiner Weise bis zu Ende durchführbar ist, aber eines muß man ihm lassen: er ist ganz und gar der bestehende Zustand, in dem wir leben.«
    Walter hatte sich wieder beruhigt. »Wenn man die Wahrheit umkehrt, kann man immer etwas sagen, das ebenso wahr wie verkehrt ist« meinte er sanft, ohne zu verbergen, daß ein weiterer Streit keinen Wert mehr für ihn habe. »Es sieht dir ähnlich, von etwas zu behaupten, es sei unmöglich, aber wirklich.«
    Allein Clarisse rieb sich sehr energisch die Nase. »Ich finde das doch sehr wichtig,« sagte sie »daß in uns allen etwas Unmögliches ist. Es erklärt so vieles. Ich habe, wie ich zuhörte, den Eindruck gehabt, wenn man uns aufschneiden könnte, so würde unser ganzes Leben vielleicht wie ein Ring aussehen, bloß so rund um etwas.« Sie hatte schon vorher ihren Ehering abgezogen und guckte nun durch seine Öffnung gegen die belichtete Wand. »Ich meine, in seiner Mitte ist doch nichts, und doch sieht er genau so aus, als ob es ihm nur darauf ankäme. Ulrich kann das eben auch nicht gleich vollkommen ausdrücken!«
    So endete diese Diskussion leider doch noch mit einem Schmerz für Walter.

85

General Stumms Bemühung, Ordnung in den Zivilverstand zu bringen
    ULRICH MOCHTE ungefähr eine Stunde länger fortgeblieben sein, als er es beim Weggehen angegeben hatte, und als er heimkehrte, wurde ihm gemeldet, daß ein Offizier schon lange auf ihn warte. Er traf oben zu seiner Überraschung General von Stumm an; der ihn in alter Kameradschaftlichkeit begrüßte. »Lieber Freund,« rief ihm dieser entgegen »du mußt entschuldigen, daß ich dich noch so spät überfalle, aber ich habe vom Dienst nicht früher abkommen können und sitze überdies schon zwei Stunden hier zwischen deiner Büchersammlung, die ordentlich zum Fürchten ist!« Es stellte sich nach einigem Austausch von Höflichkeiten heraus, daß Stumm durch ein dringendes Anliegen hergeführt worden. Er hatte ein Bein unternehmend über das andere geschlagen, was bei seiner Statur ein wenig Mühe machte, streckte den Arm mit der kleinen Hand aus und erklärte: »Dringend? Ich pflege meinen Referenten, wenn sie mir einen dringenden Akt bringen, zu sagen: Dringend ist nichts auf der Welt außer dem Weg zu einem gewissen Locus. Aber im Ernst gesprochen ist das; was mich zu dir führt, hervorragend wichtig. Ich habe dir schon gesagt, daß ich das Haus deiner Kusine als eine besondere Gelegenheit für mich betrachte, die wichtigsten Zivilfragen der Welt kennenzulernen. Schließlich ist das einmal etwas Nicht-Ärarisches, und ich kann dir versichern, daß es mir kolossal imponiert. Aber andererseits sind wir Militärs, auch wenn wir unsere Schwächen haben, lange nicht so dumm, wie man allgemein glaubt. Ich hoffe, du wirst mir zugeben, daß wir, wenn wir einmal etwas machen, es gründlich und ordentlich tun. Also du gibst es zu? Das habe ich mir auch erwartet, und dann kann ich offen mit dir reden, wenn ich dir trotzdem gestehe, daß ich mich für unseren militärischen Geist schäme. Schäme, habe ich gesagt! Ich bin heute neben dem Feldbischof wohl der Mann in der Armee, der am meisten mit dem Geist zu tun hat. Aber ich kann dir sagen, wenn man unseren militärischen Geist genau anschaut, so hervorragend er ist, er schaut aus wie ein Frührapport. Du weißt hoffentlich noch, was ein Frührapport ist? Also nicht wahr, da schreibt der Inspektionsoffizier hinein, soviel Mann sind da und Pferde, soviel Mann und Pferde sind nicht da, sie sind krank oder dergleichen, der Ulan Leitomischl ist über die Zeit ausgeblieben und so weiter. Aber warum soviel Mann und Pferde da oder krank sind und so

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