Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
als der erste Versuch, die Haut eines breit bequemen Landschlößchens über das auf bürgerlich beengtem Grundriß hochgeratene Gerüst des Stadthauses zu spannen, und damit als einer der wichtigsten Übergänge von der feudalen Grundherrlichkeit zum Stil der bürgerlichen Demokratie. Hier ging die Existenz der Leinsdorfs kunstbücherlich beglaubigt in den Weltgeist über. Wer das aber nicht wußte, sah so wenig davon wie der vorüberschießende Wassertropfen von der Wand seines Kanals; er bemerkte nur das weiche grauliche Torloch in der sonst festen Straße, eine überraschende, fast erregende Vertiefung, in deren Höhle das Gold der Tressen und des großen Knopfes am Türhüterstab erglänzten. Bei schönem Wetter kam dieser Türhüter vor die Einfahrt; dann stand er dort wie ein bunter, weit sichtbarer Edelstein, in eine Häuserflucht eingesprengt, die in niemandes Bewußtsein tritt, obgleich es erst ihre Wände sind, die das zahl- und namenlos vorbeitreibende Gewimmel zur Ordnung einer Straße erheben. Es ist zu wetten, daß ein großer Teil des »Volks«, über dessen Ordnung Graf Leinsdorf besorgt und unablässig wachte, mit seinem Namen, wenn er fiel, nichts als die Erinnerung an diesen Türsteher verband.
Aber Se. Erlaucht würde darin keine Zurücksetzung erblickt haben; eher dürfte ihm schon der Besitz derartiger Türhüter als die »wahre Selbstlosigkeit« vorgekommen sein, die einem vornehmen Mann ansteht.
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Die Parallelaktion steht in Gestalt einer einflußreichen Dame von unbeschreiblicher geistiger Anmut bereit, Ulrich zu verschlingen
DIESEN GRAFEN LEINSDORF hatte Ulrich nach dem Wunsch des Grafen Stallburg aufsuchen sollen, aber er hatte beschlossen, es nicht zu tun; dagegen nahm er sich vor, seiner »großen Kusine« den ihm von seinem Vater empfohlenen Besuch zu machen, weil ihm daran gelegen war, sie einmal mit eigenen Augen zu sehn. Er kannte sie nicht, aber er hatte schon seit einiger Zeit eine ganz besondere Abneigung gegen sie, weil es wiederholt vorkam, daß ihm Leute, die von seiner Verwandtschaft wußten und es gut mit ihm meinten, rieten: »Diese Frau müßten gerade Sie kennenlernen!« Es geschah immer mit jener besonderen Betonung des Sie, die gerade den Angeredeten als ausnehmend geeignet zum Verständnis eines solchen Juwels hervorheben will und ebensogut eine aufrichtige Schmeichelei bedeuten kann wie ein Versteck für die Überzeugung, daß man der rechte Narr für eine solche Bekanntschaft sei. Er hatte sich deshalb schon oft nach den besondren Eigenschaften dieser Frau erkundigt, aber niemals darauf befriedigende Antwort erhalten. Es hieß entweder: »Sie hat eine unbeschreibliche geistige Anmut« oder: »Sie ist unsere schönste und gescheiteste Frau«, und manche sagen einfach: »Sie ist eine ideale Frau!« – »Wie alt ist denn diese Person?« fragte Ulrich, aber niemand wußte es, und gewöhnlich war der Befragte darüber erstaunt, daß er selbst noch nicht darauf gekommen sei, sich das zu fragen. »Und wer ist denn nun eigentlich ihr Geliebter?« fragte Ulrich schließlich ungeduldig. »Ein Verhältnis?« Der nicht unerfahrene junge Mann, zu dem er so sprach, staunte. »Sie haben ganz recht. Kein Mensch käme auf diese Vermutung.« »Also eine geistige Schönheit« sagte sich Ulrich; »eine zweite Diotima.« Und von diesem Tag an nannte er sie in Gedanken so, nach jener berühmten Dozentin der Liebe.
In Wirklichkeit hieß sie aber Ermelinda Tuzzi und in Wahrheit sogar nur Hermine. Nun ist Ermelinda zwar nicht einmal die Übersetzung von Hermine, aber sie hatte das Recht auf diesen schönen Namen doch eines Tags durch intuitive Eingebung erworben, indem er plötzlich als höhere Wahrheit vor ihrem geistigen Ohre stand, wenngleich ihr Gatte auch weiterhin Hans und nicht Giovanni hieß und trotz seines Familiennamens die italienische Sprache erst auf der Konsularakademie erlernt hatte. Gegen diesen Sektionschef Tuzzi besaß Ulrich kein geringeres Vorurteil wie gegen seine Gattin. Er war in einem Ministerium, das als Ministerium des Äußern und des Kaiserlichen Hauses noch viel feudaler war als die anderen Regierungsbüros, der einzige bürgerliche Beamte in maßgebender Stellung, leitete darin die einflußreichste Sektion, galt als die rechte Hand, gerüchtweise sogar als der Kopf seiner Minister und gehörte zu den wenigen Männern, die auf die Geschicke Europas Einfluß hatten. Wenn aber in so stolzer Umgebung ein Bürgerlicher zu solcher Stellung aufsteigt, darf man
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