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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Zweifeln ermöglicht wird. Er war als Majoratsherr Mitglied des Herrenhauses, aber weder politisch aktiv, noch bekleidete er ein Amt am Hofe oder im Staate; er war »nichts als Patriot«. Aber gerade dadurch und durch seinen unabhängigen Reichtum war er zum Mittelpunkt aller anderen Patrioten geworden, die mit Besorgnis die Entwicklung des Reichs und der Menschheit verfolgten. Die ethische Verpflichtung, nicht ein gleichgültiger Zuschauer zu sein, sondern der Entwicklung »von oben helfend die Hand zu bieten«, durchdrang sein Leben. Er war vom »Volk« überzeugt, daß es »gut« sei; da nicht nur seine vielen Beamten, Angestellten und Diener von ihm abhingen, sondern in ihrem wirtschaftlichen Bestehen zahllose Menschen, hatte er es nie anders kennengelernt, ausgenommen die Sonn- und Feiertage, wo es als freundlich buntes Gewimmel aus den Kulissen quillt wie ein Opernchor. Was nicht zu dieser Vorstellung stimmte, führte er deshalb auf »hetzerische Elemente« zurück; es war für ihn das Werk verantwortungsloser, unreifer und sensationssüchtiger Individuen. Religiös und feudal erzogen, niemals im Verkehr mit bürgerlichen Menschen dem Widerspruch ausgesetzt, nicht unbelesen, aber durch die Nachwirkung der geistlichen Pädagogik, die seine Jugend behütet hatte, zeitlebens gehindert, in einem Buch etwas anderes zu erkennen als Übereinstimmung oder irrende Abweichung von seinen eigenen Grundsätzen, kannte er das Weltbild zeitgemäßer Menschen nur aus den Parlaments- und Zeitungskämpfen; und da er genug Wissen besaß, um die vielen Oberflächlichkeiten in diesen zu erkennen, wurde er täglich in seinem Vorurteil bestärkt, daß die wahre, tiefer verstandene bürgerliche Welt nichts anderes sei, als was er selbst meine. Überhaupt war der Zusatz »der wahre« zu politischen Gesinnungen eine seiner Hilfen, um sich in einer von Gott geschaffenen, aber ihn zu oft verleugnenden Welt zurechtzufinden. Er war fest überzeugt, daß sogar der wahre Sozialismus mit seiner Auffassung übereinstimme, ja es war von Anfang an seine persönlichste Idee, die er sogar sich selbst noch teilweise verbarg, eine Brücke zu schlagen, auf der die Sozialisten in sein Lager marschieren sollten. Es ist ja klar, daß den Armen zu helfen eine ritterliche Aufgabe ist und daß für den wahren Hochadel eigentlich kein so großer Unterschied zwischen einem bürgerlichen Fabrikanten und seinem Arbeiter bestehen kann; »wir alle sind ja im Innersten Sozialisten« war ein Lieblingsausspruch von ihm und hieß ungefähr so viel und nicht mehr, wie daß es im Jenseits keine sozialen Unterschiede gibt. In der Welt hielt er sie aber für notwendige Tatsachen und erwartete von der Arbeiterschaft, wenn man ihr bloß in den Fragen des materiellen Wohlbefindens entgegenkomme, daß sie von unvernünftigen, in sie hineingetragenen Schlagworten abstehn und die natürliche Weltordnung einsehn werde, wo jeder in dem ihm bestimmten Kreis Pflicht und Gedeihen findet. Der wahre Adelige erschien ihm darum so wichtig wie der wahre Handwerker, und die Lösung der politischen und wirtschaftlichen Fragen lief für ihn eigentlich auf eine harmonische Vision hinaus, die er Vaterland nannte.
    Se. Erlaucht hätte nicht anzugeben vermocht, was davon er während der Viertelstunde seit dem Abgang seines Sekretärs gedacht hatte. Vielleicht alles. Der mittelgroße, etwa sechzigjährige Mann saß reglos vor seinem Schreibtisch, die Hände im Schoß verschränkt, und wußte nicht, daß er lächelte. Er trug einen niederen Kragen, weil er Anlage zu einem Blähhals hatte, und einen Knebelbart entweder aus dem gleichen Grund oder weil er damit ein wenig an die Bilder böhmischer Aristokraten aus der Zeit Wallensteins erinnerte. Ein hohes Zimmer stand um ihn, und dieses war wieder von den großen, leeren Räumen des Vorzimmers und der Bibliothek umgeben, um welche, Schale über Schale, weitere Räume, Stille, Devotion, Feierlichkeit und der Kranz zweier geschwungenen Steintreppen sich legten; wo diese in die Einfahrt mündeten, stand in schwerem, tressenbeladenem Mantel, seinen Stab in der Hand, der große Türhüter, er sah durch das Loch des Torbogens in die helle Flüssigkeit des Tags, und die Fußgänger schwammen vorbei wie in einem Goldfischglas. An der Grenze dieser beiden Welten zogen sich die spielerischen Ranken einer Rokokofassade hoch, die unter den Kunstgelehrten nicht nur wegen ihrer Schönheit berühmt war, sondern auch weil sie höher war als breit; sie gilt heute

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