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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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wurde es von anderen Zentren aus wieder mit zarter Sicherheit und Klarheit erfüllt. Denn alle Fragen und Vorkommnisse des Lebens nahmen eine unvergleichliche Milde, Weichheit und Ruhe an und zugleich eine gänzlich veränderte Bedeutung. Lief da zum Beispiel ein Käfer an der Hand des Denkenden vorbei, so war das nicht ein Näherkommen, Vorbeigehn und Entfernen, und es war nicht Käfer und Mensch, sondern es war ein unbeschreiblich das Herz rührendes Geschehen, ja nicht einmal ein Geschehen, sondern obgleich es geschah, ein Zustand. Und mit Hilfe solcher stillen Erfahrungen erhielt alles, was sonst das gewöhnliche Leben ausmacht, eine umstürzende Bedeutung, wo immer Ulrich damit zu tun bekam. Auch seine Liebe zu der Frau Major nahm in diesem Zustand rasch die ihr vorherbestimmte Gestalt an. Er suchte sich manchmal die Frau, an die er unablässig dachte, vorzustellen und sich einzubilden, was sie im gleichen Augenblick tun möge, worin er durch seine genaue Kenntnis ihrer Lebensumstände mächtig unterstützt wurde; aber sowie es gelang und er die Geliebte vor Augen sah, wurde sein so unendlich hellsichtig gewordenes Gefühl blind, und er mußte sich bemühen, ihr Bild rasch wieder auf die selige Gewißheit des Irgendwo-für-ihn-da-seins einer großen Geliebten zu ermäßigen. Es dauerte nicht lange, da war sie ganz zum unpersönlichen Kraftzentrum, zum versenkten Dynamo seiner Erleuchtungsanlage geworden, und er schrieb ihr einen letzten Brief, worin er ihr auseinandersetzte, daß das große Zu-Liebe-leben eigentlich gar nichts mit Besitz und dem Wunsche Seimein zu tun habe, die aus der Sphäre des Sparens, Aneignen und der Freßsucht stammten. Das war der einzige Brief, den er abschickte, und ungefähr der Höhepunkt seiner Liebeskrankheit gewesen, auf den bald deren Ende und plötzlicher Abbruch folgte.

33

Bruch mit Bonadea
    BONADEA HATTE SICH inzwischen, da sie nicht dauernd gegen die Zimmerdecke schauen konnte, am Diwan auf den Rücken gestreckt, ihr zarter mütterlicher Bauch atmete im weißen Battist unbeengt von Schnürleib und Bunden; sie nannte diese Lage: Nachdenken. Es fuhr ihr durch den Sinn, daß ihr Mann nicht nur Richter, sondern auch Jäger sei und zuweilen mit funkelnden Augen vom Raubzeug spreche, welches das Wild verfolge; es schien ihr, daß daraus etwas sowohl zugunsten Moosbruggers wie auch seiner Richter folgen müsse. Andererseits wünschte sie aber nicht, ihren Mann von ihrem Geliebten ins Unrecht setzen zu lassen, außer in dem einen Punkt der Liebe; ihr Familiengefühl forderte, den Hausvorstand würdig und geachtet zu sehn. So kam sie zu keinem Entschluß. Und während dieser Gegensatz wie zwei ungestalt ineinander fließende Wolkenzüge ihren Horizont schläfrig verfinsterte, genoß Ulrich die Freiheit, seinen Gedanken nachzuhängen. Das hatte nun freilich etwas lang gedauert, und weil Bonadea nichts eingefallen war, das der Angelegenheit eine Wendung hätte geben können, kehrte ihr Gram darüber, daß Ulrich sie achtlos beleidigt habe, wieder zurück, und die Zeit, die er verstreichen ließ, ohne es gutzumachen, begann erregend auf ihr zu lasten. »Du findest also, daß ich Unrecht tue, wenn ich dich besuche?« Diese Frage richtete sie schließlich langsam und betont an ihn, traurig, aber mit gesammeltem Kampfwillen.
    Ulrich schwieg und zuckte die Achseln; er wußte längst nicht mehr, wovon sie sprach, aber er fand es unmöglich, sie in diesem Augenblick zu ertragen.
    »Du bist wirklich imstande, mir Vorwürfe zu machen, wegen unserer Leidenschaft??«
    »An jeder solchen Frage hängen so viel Antworten, wie Bienen in einem Stock sind« antwortete Ulrich. »Die ganze seelische Unordnung der Menschheit, mit ihren niemals erledigten Fragen, hängt in einer ekelhaften Weise an jeder einzelnen.« Damit sagte er nun freilich nichts anderes, als er an diesem Tage schon einigemale gedacht hatte; aber Bonadea bezog die seelische Unordnung auf sich und fand, daß dies zuviel sei. Sie hätte gerne die Vorhänge wieder zugezogen, um auf solche Weise diesen Zwist aus der Welt zu schaffen, aber ebenso gerne hätte sie vor Schmerz geheult. Und sie glaubte mit einemmal zu verstehen, daß Ulrich ihrer überdrüssig geworden sei. Dank ihrer Natur hatte sie bis dahin ihre Geliebten nie anders verloren als in der Art, wie man etwas verlegt und aus den Augen verliert, wenn man selbst von etwas Neuem angezogen wird; oder in jener anderen, daß sie sich ebenso schnell von ihnen getrennt wie mit ihnen

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