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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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von Geschwisterlichkeit ansprachen; mit einer weich dunklen Innerlichkeit, die entgegengesetzt war dem befehlshaberischen Ton der mathematischen und wissenschaftlichen Sprache, ohne daß man aber sagen konnte, worin sie bestehe – wie Inseln zwischen seiner Beschäftigung, ohne Zusammenhang und selten aufgesucht; überblickte er sie aber, soweit er sie kennengelernt hatte, so kam es ihm vor, daß man ihren Zusammenhang spürte, wie wenn diese Inseln, nur wenig voneinander getrennt, einer Küste vorgelagert wären, die sich hinter ihnen verbarg, oder die Reste eines Festlands darstellten, das vor Urzeiten zugrunde gegangen ist. Er fühlte das Weiche von Meer, Nebel und niedrigen schwarzen Landrücken, die in gelbgrauem Licht schlafen. Er erinnerte sich an eine kleine Seereise, eine Flucht nach dem Muster »Reisen Sie«, »Bringen Sie sich auf andere Gedanken«, und wußte genau, welches sonderbare, lächerlich verzauberte Erlebnis sich durch seine abschreckende Kraft ein für allemal vor alle ähnlichen geschoben hatte. Einen Augenblick lang klopfte das Herz eines Zwanzigjährigen in seiner Brust, deren behaarte Haut sich mit den Jahren seither verdickt und vergröbert hatte. Das Klopfen eines zwanzigjährigen Herzens in seiner zweiunddreißigjährigen Brust kam ihm vor wie der unsittliche Kuß, den ein Jüngling einem Mann gibt. Trotzdem wich er diesmal der Erinnerung nicht aus. Es war die Erinnerung an eine sonderbar ausgegangene Leidenschaft, die er als Zwanzigjähriger für eine Frau empfunden hatte, die an Jahren und vornehmlich nach dem Grad ihrer häuslichen Abgerührtheit beträchtlich älter war als er.
    Bezeichnenderweise erinnerte er sich nur ungenau an ihr Aussehen; eine steife Photographie und das Gedächtnis der Stunden, wo er allein war und an sie dachte, nahm die Stelle der unmittelbaren Erinnerungen an Gesicht, Kleider, Bewegungen und Stimme dieser Frau ein. Ihre Welt war ihm inzwischen so fremd geworden, daß ihn die Aussage, sie sei die Frau eines Majors gewesen, ergötzlich unglaubhaft anmutete. »Nun wird sie wohl schon längst eine Frau Oberst außer Dienst sein« dachte er. Es war im Regiment erzählt worden, daß sie eine ausgebildete Künstlerin sei, eine Klaviervirtuosin, davon aber auf Wunsch ihrer Familie nie öffentlichen Gebrauch gemacht habe, und später wurde dies durch ihre Heirat ohnehin unmöglich. Wirklich spielte sie bei Regimentsfesten sehr schön Klavier, mit dem Strahlenglanz einer gut vergoldeten Sonne, die über Schluchten des Gemüts schwebt, und Ulrich hatte sich von Beginn an weniger in die sinnliche Anwesenheit dieser Frau verliebt als in ihren Begriff. Der Leutnant, der damals seinen Namen trug, war nicht schüchtern; sein Blick hatte sich schon an kleinem Weibszeug geübt und sogar bei mancher ehrbaren Frau den leicht ausgetretenen Diebspfad erspäht, der zu ihr führte. Aber die »große Liebe«, das war für diese zwanzigjährigen Offiziere, wenn sie überhaupt Verlangen danach hatten, etwas anderes, das war ein Begriff; er lag außerhalb der Reichweite ihrer Unternehmungen und war so arm an Erfahrungsinhalt und eben darum auch so blendend leer, wie es nur ganz große Begriffe sind. Und als Ulrich zum erstenmal in seinem Leben die Möglichkeit in sich sah, diesen Begriff anzuwenden, mußte es darum auch geschehen; der Frau Major fiel hiebei keine andere Rolle zu wie die des letzten Anlasses, der einer Krankheit zum Ausbruch verhilft. Ulrich wurde liebeskrank. Und da echte Liebeskrankheit kein Verlangen nach Besitz ist, sondern ein sanftes Sichentschleiern der Welt, um deswillen man gern auf den Besitz der Geliebten verzichtet, erklärte der Leutnant der Frau Major die Welt auf eine so ungewohnte und ausdauernde Weise, wie sie es noch nicht gehört hatte. Gestirne, Bakterien, Balzac und Nietzsche wirbelten in einem Trichter von Gedanken, dessen Spitze sie mit wachsender Deutlichkeit auf gewisse, nach der damaligen Zeitmode dem Anstand verwehrte Unterschiede gerichtet fühlte, die ihren Leib von dem Leib des Leutnants trennten. Sie wurde verwirrt durch diese eindringliche Beziehung der Liebe zu Fragen, die ihres Dafürhaltens bis dahin noch nie mit Liebe zu tun gehabt hatten; auf einem Spazierritt überließ sie Ulrich, als sie neben ihren Pferden gingen, einen Augenblick ihre Hand und bemerkte mit Schrecken, daß die Hand wie ohnmächtig in der seinen liegen blieb. In der nächsten Sekunde flammte von ihren Handgelenken bis zu den Knien ein Feuer, und ein Blitz fällte

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