Der Mann von Nebenan
gelernt, ihr annehmbare Töne zu entlocken. Die Flöte und sie, das war eine Beziehung zwischen Gleichberechtigten. Eine Geige zum Beispiel, launisch und schwer zu beherrschen, hätte ihr Angst eingejagt.
In einem Kasten entdeckte Kate ein fast fertiges Instrument; eine Tenorflöte mit einem wunderbar weichen Klang. Sie mußte nur noch intoniert werden, ein Vorgang, der Kate jedesmal mit Ehrfurcht erfüllte. Von ihrer Sensibilität hing es ab, welche Stimmung das Instrument in sich tragen, welche Klangfarbe es in die Welt bringen würde. Sie blies ein paar Töne, dann legte sie die Flöte vorsichtig zurück in ihr Behältnis.
Derzeit durfte sie nicht einmal daran denken, eine Flöte zu stimmen. Die psychische Verfassung, die »Stimmung« desjenigen, der intonierte, übertrug sich; unweigerlich würde Kate die Mißklänge ihres Befindens in die Seele des Instrumentes implantieren.
»Hallo, sind Sie da?« ertönte eine Stimme, und jemand klopfte an die Schuppentür.
Kate sprang auf und öffnete. Draußen stand schon wieder der hilfsbereite Herr Mattuschek.
»Was für ungewohnte Töne! Die reinsten Sirenenklänge. Sie sind Musikerin?«
»Nein, ich baue Flöten. Hoffentlich störe ich Sie nicht?«
»Aber nein, überhaupt nicht!« Er sah sich um. »Hier haben Sie sich also schon Ihre Werkstatt eingerichtet. Jetzt müssen Sie nur noch eine Nutzungsänderung beantragen.«
»Eine … was?« Kate sah ihn verständnislos an.
»Also«, setzte Mattuschek zu einer Erklärung an, »das hier ist ein Schuppen. Er ist als Abstellraum genehmigt worden. Wenn Sie ihn als Werkstatt nutzen, müssen Sie eine Nutzungsänderung beantragen.«
»Ach was, das stört doch niemanden, wenn ich hier meine Flöten baue«, sagte Kate gereizt. Sie hatte im Moment wirklich andere Sorgen.
»Das kann schon sein, aber wenn Sie es nicht anmelden, verstoßen Sie gegen das Gesetz.«
Kate verdrehte die Augen.
»Ich sage das in Ihrem eigenen Interesse«, insistierte Mattuschek. »Ich will nicht, daß Sie Ärger kriegen! Übrigens muß Nellis den Antrag stellen, er ist der Eigentümer.«
Kate nickte ungeduldig. »Ist gut, ich sag’s ihm.«
»Ich wollte eigentlich fragen, ob ich Heizöl für Sie mitbestellen soll«, kam Mattuschek zum Zweck seines Besuches. »Je mehr man abnimmt, desto günstiger wird es.«
»O ja, sehr gerne!« erwiderte Kate. Wie fürsorglich der Mann war!
Gegen Abend, als es kühler geworden war, ging sie in den Garten. Der Duft von gegrilltem Fisch zog über den Zaun. Kate warf verstohlen einen Blick ins Nachbargrundstück. Auf der Terrasse vor Malises Haus saßen die drei Anglerinnen, im Gras tobten Kinder, ein Baby schrie.
Die friedliche Szene berührte Kate und wirkte besänftigend auf ihr aufgewühltes Gemüt. Von ihrem Platz auf der Bank beobachtete sie die Vorgänge im Nachbargarten und fühlte sich, als blicke sie auf eine Theaterbühne.
Plötzlich schienen die Frauen Kate bemerkt zu haben. Sie tuschelten miteinander und sahen immer wieder zu ihr rüber. Offenbar überlegten sie, ob sie die Nachbarin ansprechen sollten. Kate war unschlüssig, ob ihr das überhaupt recht wäre. Einerseits sehnte sie sich danach, mit jemandem zu reden, andererseits waren die Frauen am Morgen reichlich patzig gewesen.
Drüben schien eine Entscheidung gefallen zu sein. Die jüngste der Frauen stand auf und näherte sich dem Zaun. Sie winkte Kate zu und rief: »Kommen Sie doch rüber, wenn Sie Lust haben!«
»Danke«, rief Kate zurück.
Sie blieb noch einen Moment sitzen und überlegte, dann entschloß sie sich, der Einladung zu folgen. Sie holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank und machte sich auf den Weg.
Das Gespräch verstummte, als die Frauen Kate den Gartenweg entlangkommen sahen. Erwartungsvoll richteten alle drei ihre Blicke auf sie. Jetzt, in normaler Kleidung, sahen die Frauen nicht mehr so bedrohlich aus wie morgens am Weiher. Malise wirkte sogar ausgesprochen attraktiv in ihrem weißen Leinenhemd, auf dem der grüne Stein an ihrer silbernen Kette besonders gut zur Geltung kam.
Die junge Frau, die Kate eingeladen hatte, war auf eine puppenhafte Art hübsch und betont modisch gekleidet; man hätte sie eher in einem Szenelokal in der Stadt vermutet als hier auf dem Dorf. Sie schaukelte mit heftigen Bewegungen das Baby, obwohl es längst aufgehört hatte zu schreien.
Die dritte Frau hätte vom Alter her leicht ihre Mutter sein können; sie war kräftig gebaut, hatte wache Augen und einen burschikosen
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