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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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nicht erkennen, was es war. Während sie tanzte, ließ sie den Gegenstand von einer Hand in die andere wandern. Dann packte sie die Fackel und ging einige Schritte. In der Nähe des Zaunes, der ihren Grundstücksanteil von dem der Mattuscheks trennte, rammte sie die Fackel erneut ins Gras und hockte sich hin. Jetzt war sie von Gebüsch verdeckt, Kate konnte nicht sehen, was sie tat. Nach einer Weile stand sie auf und ging zurück ins Haus. Im Vorbeigehen löschte sie die Flamme in einer Tonne mit Regenwasser. Gleich darauf gingen innen die Lichter aus.
    Kate schüttelte verwirrt den Kopf. Was hatte das wohl zu bedeuten? Mattuscheks nächtliches Treiben hatte sich ja schnell aufgeklärt, aber dieser Feuerzauber kam ihr noch merkwürdiger vor.
    Sie ging die Treppe wieder hoch. Die alten Holzstufen knarrten unter ihrem Gewicht.
    Eine ganze Familie wurde damals ausgerottet. Im Schlaf.
    Ob die Geschichte stimmte? Kate war geneigt, es zu glauben. So grausam konnte Malise nicht sein, etwas Derartiges zu erfinden. Wie oft die Menschen wohl diese Treppe hinauf- und hinuntergelaufen waren, bevor sie auf grauenhafte Weise den Tod gefunden hatten? Plötzlich kam Kate das Haus feindlich vor, voll böser Geister und düsterer Geschichten. Wie ein ängstliches Kind flüchtete sie zurück ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.
    Sie schlief kaum in dieser Nacht; immer wieder schreckte sie hoch, gepeinigt von Bildern der toten Frau. Das getrocknete Blut an ihren Beinen. Die Fliegen, die um den halbgeöffneten Mund herumkrabbelten. Der starre Blick der toten Augen, in denen ein stummer Vorwurf zu liegen schien.
     
    »Darf ich reinkommen?«
    Kate richtete sich überrascht auf. Sie hockte im Wohnzimmer und versuchte erneut, ihre Anlage in Gang zu bekommen. Aber es sah so aus, als müßte sie auf Samuel warten.
    Sie streckte ihren Kopf aus der Tür. Im Flur stand eine rundliche, blonde Frau mit sanften Gesichtszügen. Sie wirkte müde, fast verhärmt; Kate kannte sie nicht. Doch, sie hatte sie kurz am Fenster gesehen – es war Frau Mattuschek. Sie hielt eine Tasse in der Hand und lächelte schüchtern.
    »Hätten Sie wohl ein bißchen Mehl? Ich wollte Willi einen Kuchen backen, und nun reicht das Mehl nicht.
    Wissen Sie, er wünscht sich sonntags einen Kuchen, was soll man machen?«
    Kate nickte verständnisvoll.
    »Klar, kommen Sie rein!«
    Sie hielt die Küchentür auf und kramte schon im Schrank. Dann drückte sie der Frau eine frische Packung Mehl in die Hand. »Hier, bitte schön!«
    »Eine Tasse würde genügen.«
    »Ist doch einfacher, als was umzufüllen«, sagte Kate freundlich.
    »Ich bring’s Ihnen gleich morgen wieder«, sagte Frau Mattuschek eilig.
    »Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
    Die Frau zögerte, schließlich nahm sie sich ein Herz.
    »Tut mir leid, das mit der Leiche. Muß ja ein furchtbarer Schock für Sie gewesen sein! Hoffentlich kommen Sie bald darüber weg.«
    Kate lächelte dankbar.
    »Bleiben Sie denn hier wohnen?« fragte Frau Mattuschek weiter.
    »Ich weiß noch nicht. Vorerst schon. Wissen Sie, nach einer Scheidung …« Kate ließ den Satz unvollendet.
    Frau Mattuschek nickte mitfühlend. »Ja, ja, was soll man machen.«
    Dann nahm sie plötzlich Kates Hand. »Ich heiße Gudrun. Wenn ich irgendwas für Sie tun kann, sagen Sie’s mir einfach!«
    Sie war schon an der Tür, da drehte sie sich noch mal um.
    »Willi hat recht, Sie sind wirklich sehr hübsch.«
    Kate verbrachte den Nachmittag auf ihrem neuen Lieblingsplatz, der Gartenbank unter dem Apfelbaum. Sie durchforstete ihre Kundenkartei und schrieb Briefe mit ihrer neuen Adresse. Seit knapp fünf Jahren betrieb sie ihre Flötenwerkstatt und hatte sich einen kleinen Kundenstamm erworben. Als »nettes Hobby«, wie Bernd ihre Tätigkeit immer bezeichnet hatte, war das ausreichend gewesen. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, würde es bei weitem nicht genügen.
    In ihrer Naivität hatte sie damals im Ehevertrag auf Unterhalt verzichtet. Geld und Liebe sollten ihrer Meinung nach nicht miteinander vermengt werden. So zahlte Bernd jetzt nur die gesetzlich festgelegte Summe für seinen Sohn und verjubelte den Rest mit seiner Neuen.
    Bis Kate ihre Werkstatt hier draußen aufgebaut und genügend neue Kunden aquiriert hätte, würden Monate vergehen. Bis dahin wollte sie Flötenunterricht geben, das würde wenigstens ein bißchen Geld bringen.
    Kate setzte einen Handzettel mit folgendem Text auf: »Instrumentenbauerin gibt Unterricht in Blockflöte,

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