Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
und ich schwöre Ihnen, daß ich ein langes Gesicht gemacht habe. Ihnen – vorausgesetzt, Sie können lesen – wird es genauso ergehen. Und gerade das muß uns, meine ich, am meisten kränken, denn Briefe wie dieser sind immer ein Hohn für unser Analphabetentum und unser Bedürfnis nach klaren Antworten. Urteilen Sie selbst: angesichts unserer konkreten Forderungen, auf die man mit einem einsilbigen Wort antworten kann, erlauben sich diese hohen Herrn mit ihrer kristallenen Seele den Luxus der Abstraktion. Anstatt sich um unseren Speiseschrank zu kümmern, schmelzen sie in Wortspielereien dahin. Da haben Sie also den Brief, und machen Sie damit, was Sie wollen.« Versuchen wir jetzt vorauszusehen, was nach Ihren Ausführungen geschehen kann. Der Anführer der Banditen ist mißtrauisch. Brüsk bemächtigt er sich des Briefes und reißt den Umschlag auf. Er will seinen Männern beweisen, daß er zumindest des Lesens kundig ist. Seine Autorität kann aus der Sache gestärkt hervorgehen. Sobald er jedoch den Blick auf den Text richtet, stößt er auf die fürchterlichen Hieroglyphen. Er hüstelt und wirft seinen Männern einen würdevollen Blick zu. Er unternimmt einen weiteren Anlauf und erleidet ein Fiasko. Er erkennt, daß Sie ihn nicht belogen haben. Er läßt nicht locker und stellt fest, daß ihm sein ganzer guter Wille nichts nützt. Er errötet vor Scham, aber er wagt nicht, seinen Gefolgsleuten zu sagen, daß der Brief nichts als Kauderwelsch ist, denn er fürchtet, sie könnten ihm nicht glauben. Einige Banditen lächeln sich angesichts seiner Verwirrung boshaft zu und sagen sich, daß sie von einem Mann angeführt werden, der genauso unwissend ist wie sie. Die Autorität des Anführers festigt sich nicht etwa, sondern bekommt Risse. Was kann ein Mann in dieser gefährlichen Situation tun, Bautista? Alles mögliche nur nicht zulassen, daß seine Leute sich über ihn lustig machen. Womöglich richtet er sogar seinen ganzen Zorn gegen Sie – ja, ja, mein armer Freund, gegen Sie! –, bevor er es geschehen läßt, daß seine Männer ihn auslachen. Nicht aus Gründen persönlicher Rache – denn ein Briefträger ist niemals verantwortlich für die Botschaft, die er bei sich trägt –, sondern um das verlorene Prestige wiederzugewinnen. Wäre dies das erste Mal, Bautista, daß ein Mann zum Messer greift, da es ihm an Vernunft gebricht? Ist die Geschichte denn nicht voller Beispiele? Wir müssen also verhindern, daß dies Ihr Schicksal ist. Doch, doch, wir müssen das verhindern, denn Sie verdienen etwas Besseres als durch die Hand von Strauchdieben zu sterben, und das eines Briefes wegen, den Sie noch nicht einmal geschrieben haben! Beugen wir deshalb dieser Gefahr vor. Was halten Sie davon, mein treuer Freund, wenn Sie heute nachmittag mit zwei Briefen aus dem Schloß gingen? Lassen Sie mich das erklären: einen Brief, den echten – den, der uns interessiert — tragen Sie an den Solarplexus geklebt, wie eines dieser ABC-Pflaster, so daß niemand ihn entdecken kann. Den anderen, den falschen – den ich im Handumdrehen abfassen werde, während Sie das Froschpärchen jagen – tragen Sie in der Hand. Beide Briefe sind auf grünem Papier geschrieben und an Don Demetrio gerichtet. Wenn man Sie gefangen nimmt, übergeben Sie den Banditen natürlich den falschen, denn in diesem Brief kann ich mir den Luxus erlauben, klar zu sein, so daß sie ihn mühelos werden lesen können. Dazu mag ein beliebiges Muster dienen. Zum Beispiel ein höchst trauriges Beileidsschreiben anläßlich des Hinscheidens irgendeines Verwandten des Grafen, den ich das Glück hatte, nicht zu kennen. Oder eine Notiz, in der ich ihm versichere, daß ich ihn trotz allem in meine Gebete einschließe. Vielleicht auch ein Glückwunschschreiben zur Geburt seines Erstgeborenen vor nunmehr vierundzwanzig Jahren. Letztlich kann es etwas x-beliebiges sein, machen wir uns darüber jetzt keine Gedanken. Wichtig ist nur, daß der Anführer dieser Bande von Wegelagerern fähig ist, meine Handschrift zu entziffern. Ist das nicht die beste Lösung, Bautista? Kurz und gut, übergeben Sie dem Schurken den falschen Brief und treten Sie einige Schritte zurück. Mag er mit seiner Klugheit prahlen und mit seinen Männern dann geräuschvoll den Erfolg der Mission feiern, hinter der sich irgendeine hochgestellte Persönlichkeit verbirgt, deren Identität wir höchstwahrscheinlich niemals in Erfahrung bringen werden. Während die Banditen sich den tollsten Exzessen
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