Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
ist, zu der Person zu gelangen, die wir suchen. Die Herzen derer, die wir brauchen, befinden sich stets im Zentrum eines Labyrinths. Auf Ihrem Weg werden Sie jedenfalls wunderschöne Gegenstände zu Gesicht bekommen: heraldischen Waffenschmuck, dunkle Gobelins, bezaubernde Skulpturen, herrliche Gemälde. Schließlich wird der Diener eine gewaltige Tür aus Mahagoniholz aufstoßen und Sie auffordern, einzutreten. Sie befinden sich nun in einem riesigen Salon mit einer sehr hohen Decke. Durch die mehrfarbigen Scheiben der hohen, schmalen Fenster dringen schwache Sonnenstrahlen. Der Herr Graf liegt ausgestreckt auf einem Kanapee. Er hebt einen Arm und bewegt schwach die Finger, zum Zeichen, näherzutreten. Sie gehorchen, überreichen ihm den Brief und bitten ihn, er möge ihn in Ihrer Gegenwart lesen. Formulieren Sie diesen Wunsch mit der gebotenen Demut, und erwähnen Sie dabei, wie sehr mir daran gelegen ist, daß die Dinge sich in dieser Weise abspielen. Haben Sie dieses Ansinnen ausgesprochen — gegen das gewiß keine Einwände erhoben werden –, halten Sie den Atem an und warten Sie. Legen Sie Geduld an den Tag. Ich habe gehört, daß die Augen des Herrn Grafen in den letzten Jahren recht schwach geworden sind. Es kann also sein, daß er mehr als zwei Stunden benötigt, um die zwei handgeschriebenen Briefbögen zu lesen, die ich ihm sende. Obendrein ist er ein mißtrauischer Mensch und wird den Brief drei-oder viermal lesen, bestrebt, irgendeine verborgene Schmähung, irgendeine geheime Verleumdung darin zu entdecken. Während er also das Schreiben wieder und wieder liest, beschränken Sie sich darauf, unbewegt in der Nähe des Kanapees zu warten, den Blick auf den Boden geheftet. Ihre Haltung muß mehr als respektvoll, sie muß entschieden demütig sein. Zeigen Sie keinerlei Interesse an der Zimmereinrichtung. Sie werden sich – ich sage Ihnen das, damit Sie keine Überraschung erleben – in einem Raum befinden, der mit Möbelstücken vollgestopft ist, eines wunderlicher als das andere, mit herrlichen Wandbehängen an den Wänden, dazu einer Uhr von gewaltigen Ausmaßen, aus der im frivolsten Augenblick die Glockenschläge des Jüngsten Gerichts hervortönen können. All dies natürlich in der Annahme, daß der Herr Graf in dieser ganzen Zeit nicht den Entschluß gefaßt hat, die Ausstattung seines Sanctums zu verändern. Wie dem auch sei, Sie müssen beständig auf der Hut sein, trotz Ihrer scheinbaren Versunkenheit. Lassen Sie nicht einen Augenblick in Ihrer Aufmerksamkeit nach. Sie müssen wissen, daß Don Demetrio eine Vorliebe dafür hat, die Leute mit völlig unerwarteten Fragen aus der Fassung zu bringen. Vielleicht wird er, kaum daß er mit der Lektüre des Briefes begonnen hat – der ihn bereits zu interessieren scheint –, den Blick von den Briefbögen heben und zu wissen verlangen, was Sie von der Landverteilung halten. Vor Jahren pflegte er unter ähnlichen Umständen derlei Fragen zu stellen. Sollte dieser kritische Augenblick eintreten, müssen Sie sich gegen jeden Gesetzesentwurf in diesem Sinne aussprechen. Das heißt, Sie müssen reagieren, als wären auch Sie ein Großgrundbesitzer und als gehörte Ihnen das Land, das zur Verteilung ansteht. Bedenken Sie, daß der Herr Graf, gewahrt er bei Ihnen nicht eine uneingeschränkte Befürwortung des Latifundienwesens, den Brief in hundert Stücke reißen und Sie hinauswerfen wird. Eine solche Reaktion wäre gewissermaßen logisch. Seine Gedankengänge wären mehr oder minder folgende: »Was geht mich an, was ein Herr mir schreibt, dessen Lakai – abgesehen davon, daß er hinkt – nicht die richtige innere Einstellung in einer Frage zu haben scheint, die uns Grundbesitzer so sehr betrifft?« Passen Sie also gut auf, Bautista. Denken Sie immer daran, daß der Herr Graf ein Mensch mit sonderbaren Reaktionen ist. Und mit sonderbaren Neigungen. So interessierten ihn zum Beispiel in seiner Jugendzeit ausschließlich – wohlgemerkt, ich sage ausschließlich – Frauen mit großem Gebärapparat. Mächtige Matronen, imstande, den strammsten Mann mit einem Handschlag zu erledigen. Keiner seiner Saufkumpane hat je erlebt, daß er eine Frau angeschaut hätte, die weniger als sieben Arrobas wog. Alle seine Geliebten schliefen in verstärkten Betten. Ach ja! Noch heute muß ich staunen, wenn ich an jene seltsame Besessenheit von ihm denke! Denn, sagen Sie mir, Bautista: welch feinsinnige Zärtlichkeit oder welch närrische Begierde nach kosmischen
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