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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Den Musil spreng ich in die Luft
    Geschichten
    Da gab mir Beethoven einen Kuss
    Hiermit darf ich mich an die Deutsche Schillerstiftung wenden mit der ergebensten Bitte um Unterstützung durch eine Ihrer Ehrengaben.
    Da meine Publikationen weit verstreut, meine Lebensdaten wenig bekannt sind, darf ich einige Punkte hervorheben, die für Ihren Entscheidungsprozess relevant sein könnten.
    Ich, Johann Peter Lyser, 67 , wohnhaft in Altona, Norderreihe Nr. 15 , lebe, nein: vegetiere in einem Zustand unverdienter Armut, ja des Elends. Ich sehe mich gezwungen, dies gleich eingangs mit rückhaltloser Offenheit festzuhalten.
    Meine gegenwärtige Bleibe befindet sich im Dachgeschoss eines desolaten Mietshauses. Was durchaus meiner Gesamtlage entspricht – meine Einkünfte nähern sich dem Nullpunkt. Dies frank und frei einzugestehen fällt schwer. Ich habe mich an dieses Eingeständnis gleichsam herangearbeitet mit mehreren Entwürfen meines voraussichtlich umfangreichen Schreibens. Was in den Entwürfen noch am Schluss steht, muss hier an den Anfang gesetzt werden, um Ihnen die Notwendigkeit meiner Eingabe ad oculos zu demonstrieren.
    Ich bin Maler. Doch damit lässt sich nichts mehr verdienen. Porträtmaler sind seit Erfindung der Fotografie obsolet geworden. Gerne würde ich, wie seinerzeit in Wien, Wirtshaus- und Ladenschilder malen, jedoch: in Altona herrscht immer noch Zunftzwang. Mit dem Erteilen von Nachhilfeunterricht ist es hier ebenfalls schlecht bestellt – die wirtschaftliche Lage verschlimmert sich von Woche zu Woche.
    Was ebenso für mich als Musiker zutrifft. Weder durch meine Kompositionen noch durch Besprechungen von Konzerten noch mit Konzertauftritten (Bassetthorn, speziell geeignet für Mozarts Klarinettenkonzert) kann ich das lebensnotwendige Minimum erwirtschaften, wobei sich allerdings spezielle Gegebenheiten abträglich auswirken – doch davon später. Denn hier muss erst einmal konstatiert und akzentuiert werden, worauf Sie gewiss schon warten: In der Hauptsache bin ich Schriftsteller, Autor, Dichter. Dies allein berechtigt dazu, mich an Sie, werte Herren der Schillerstiftung, zu wenden.
    Ich schreibe, unter anderem, Gedichte und plattdeutsche Erzählungen. Gelegentlich kann ich ein Gedicht oder eine Erzählung an eine hiesige Zeitung verkaufen, dazu muss ich mir aber, mit Verlaub, die Hacken ablaufen. Das verschwindend geringe Honorar reicht zuweilen nicht mal aus, um Tinte zu kaufen, von Brot ganz zu schweigen. Die unzureichende Ernährung hat mich zum Fliegengewicht gemacht – mein Körperfleisch hat sich gleichsam verflüchtigt. Die erzwungene Beschränkung auf (das notorisch feuchte) Roggenbrot zwingt mich in erniedrigender Wiederholung, vom Dachjuchhe hinunterzulaufen, nein: hinunterzustolpern zum unbeschreiblichen Klosett im Anbau des Erdgeschosses. Nach der sogenannten Erleichterung bin ich, im Zustand ohnehin anhaltender Entkräftung, oft derart geschwächt, dass ich die Treppe streckenweise auf allen vieren überwinden muss.

    So elend auch meine körperliche Verfassung sein mag, mein Kopf ist klar; er ragt über das alltäglich gewordene Elend empor. Ein Elend, das mich nicht nur dazu motiviert, sondern zwingt, mit angemessenem Nachdruck auf meine Situation hinzuweisen. Verzeihen Sie also die inhaltliche, wenn auch nicht wörtliche Wiederholung: Ich schreibe diesen Brief in äußerster Not. Was aber nicht sedierend, vielmehr stimulierend auf mich einwirkt, so dass ich, ungeachtet aller Malaisen und Molesten, diesen Schriftsatz con fuoco aufsetze. Das in der eher verzweifelten als verwegenen Hoffnung, meine Schreibperspektive möge zu Ihrer Sichtweise werden. Die Gewährung einer Ehrengabe der Schillerstiftung wäre nicht nur Rettung in höchster (oder aus tiefster) Not, sie wäre auch eine, mit Verlaub, längst überfällige Anerkennung meines literarischen, musikalischen sowie malerischen Schaffens.
    Im Hintergrund (nun kurz in den Vordergrund gerückt) ein Nebengedanke: Dass ich hier nicht nur auf meine Hilfsbedürftigkeit hinweise, sondern zugleich Vorarbeit leiste für einen Biographen, der sich in Anbetracht meiner fraglosen Verdienste mit Sicherheit einstellen wird, spätestens nach meinem Ableben, das noch früher eintreten dürfte, als zu befürchten steht – schon sehe ich zwei Gemeindearbeiter meinen kleinen, hageren Leib in einem alten Segeltuch aus der Wohnung tragen und im Spital auf eine Pritsche abkippen.

    Es ist nicht die fortschreitende Entkräftung allein: Ich leide

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